Irgendwann in den letzten Jahren muss es passiert sein – ich bin alt geworden. Gemerkt habe ich das nicht, zumindest nicht sofort. Aber die Anzeichen häufen sich, es lässt sich einfach nicht mehr leugnen. Besonders deutlich wird das, wenn ich mein Medien-Nutzungsverhalten und das der jüngeren Generation beobachte.
Das Gute ist: Ich bin nicht alleine. Bei Vorträgen frage ich gerne mal ins Publikum, ob der Gronkh bekannt sei. Ist er in der Regel nicht. Von 100 Zuhörern heben im Schnitt fünf die Hand, manchmal auch weniger. Der Gronkh geht an unserer Lebenswirklichkeit ganz einfach vorbei.
Und trotzdem ist er extrem relevant. Zwar nicht für uns, sondern für die Zukunft. Gronkh steht für mich als Sinnbild einer Parallelgesellschaft, die sich in der jüngeren Generation entwickelt. Und die kaum in Unternehmen in der nötigen Tiefe auf dem Schirm hat.
Gronkh ist ein „Let’s Player“. Das heißt, er spielt Computerspiele, nimmt sein Spielen und seine Kommentare auf und stellt die Aufzeichnung ins Netz – mal altersgerecht runtergebrochen. Bereits da sehe ich bei einigen Zuhörern im Vortragsauditorium verwundertes Lachen wer soll sich sowas denn anschauen? Wenn ich dann erkläre, dass die Videos meist 20 Minuten, teilweise aber auch bis zu einer Stunde dauern, winken die meisten abfällig ab. Sowas guckt sich doch kein Mensch an…
Dann werfen wir einen Blick auf die Zugriffszahlen des Gronkh-Channels. Vorher lohnt es sich, ein paar Markenchannels zum Vergleich heranzuziehen. Hugo Boss kann auf 7 Millionen Aufrufe stolz sein, Procter & Gamble immerhin fast 50 Millionen. Nike (weltweit) kann sogar 500 Millionen Aufrufe vorweisen. Dahinter stecken jahrzehntelange Unternehmensgeschichten, Milliardenbudgets und weltbekannte Marken.
Tja, und der Gronkh? Ein deutscher Online-Promi, ganz ohne Werbebudget, ohne Brand Strategy Handbook und ohne Beraterstab, hat zum Zeitpunkt, zu dem ich das hier schreibe, die 2,6 Milliarden Aufrufe geknackt. Über zwei Milliarden Views!!! Und wir sprechen wie gesagt nicht von 10-Sekündern, die sich jemand in einer Werbepause anschaut, wenn er nicht gerade aufs Klo oder zum Kühlschrank gegangen ist, sondern von Episoden von der Länge einer durchschnittlichen TV-Serie.
Kaum einer der Zuschauer dürfte über 35 sein, die meisten wohl unter 25. Viele wahrscheinlich noch deutlich jünger. „Für uns nicht relevant, nicht unsere Zielgruppe“ geht es jetzt vielleicht in Ihrem Kopf los. Und das mag durchaus sein.
Aber diese Art der Inhalte prägt das Mediennutzungsverhalten der nächsten Generation. Wer mit Gronkh, Bibi und Co. aufgewachsen ist, lässt sich weder von einem TV-Moderator erklären, wie die Welt funktioniert, noch glaubt er den Werbebotschaften einer Marketingabteilung. Vor allem aber lässt er sich nicht mehr vorschreiben, wann er welche Informationen wie und wo zu konsumieren hat.
2,6 Milliarden Aufrufe und Sie haben wahrscheinlich noch nie von Gronkh gehört. Wenn doch, sind Sie übrigens entweder unter 25, haben Kinder im jugendlichen Alter oder arbeiten in der Online-/Marketingbranche. Fragen Sie doch mal in Ihrem Bekanntenkreis herum… Eine andere Lebenswirklichkeit, eine Parallelgesellschaft eben.
Und das hört mit den YouTubern nicht auf. Beobachten Sie mal junge Menschen und ihr Smartphone. Die Zeit, als man das Handy ans Ohr hielt zum Telefonieren, scheinen auch gezählt zu sein. Heute wird das Handy horizontal vor’s Gesicht gehalten. Wenn Sie sich fragen, was das soll – in der Regel dürfte die Person gerade WhatsApp-Sprachnachrichten ins Smartphone sprechen. Tippen? Old School. In Asien sind Sprachnachrichten per WeChat, Line und co. schon längst Alltag.
Wir im Marketing tun gut daran, uns dieses Kommunikationsverhalten genau anzusehen. Nicht, weil wir unbedingt auf den Markt der Jugendlichen drängen müssen. Sondern weil Jugendliche älter werden, ihr Mediennutzungsverhalten aber mitnehmen. Und das hat mit der Lebenswirklichkeit von (uns) anzugtragenden, DVD-schauenden, „erfahrenen“ Marketingmenschen oft einfach nichts mehr zu tun.
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