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Michael-Rossie

Michael Rossié

30. August 2018

Tod durch Powerpoint

Tod durch Powerpoint – Ein Business-Krimi von Michael Rossié

Karl Unde hatte eine Einladung zu einem Vortrag bekommen. Es ging um Versicherungen: Da K.Unde sich gerade selbständig gemacht hatte, erschien ihm die Gelegenheit günstig, etwas für die Planung seiner Zukunft zu tun. Dass es dort um sein Leben gehen sollte, konnte er jetzt noch nicht ahnen.

Als er den Konferenzraum „Alpenglühen“ im Untergeschoss des Seminarhotels betrat, war seine gute Laune noch durch nichts zu erschüttern. Das erste Blatt auf dem Flip-Chart im Eingangsbereich war schon seit den Siebziger Jahren im Einsatz, aber es wirkte freundlich und warm. Ein geschwungenes Herz, dahinter die Silbe „lich“ und ein „willkommen“ in Kinderschrift. Das wirkte vertraut und persönlich.

Der Referent, Bernd Erater, aus der Zentrale der Versicherung war für die spielerisch unterhaltsame Art, mit der er schwierige Sachverhalte auf verblüffend einfache Weise darstellte, versicherungsweit bekannt und geschätzt. Unde wählte einen Platz in der dritten Reihe der rechten Hälfte, um im Notfall schnell den Ausgang zu erreichen.

Er nahm auf einem der 60 Plätze hinter einem der 30 Tische Platz und verbrachte einige Zeit damit, sich zwischen den Plastikkugelschreibern, der Dose Pfefferminzbonbons, dem Schreibblock (der zur Hälfte mit dem Logo des Versicherung geschmückt war), dem Info-Material, der Getränkeinsel und dem Flaschenöffner Platz für die Ablage einer Hand oder eines ganzen Armes zu schaffen, ohne seinen Nebenmann zuzubauen.

18.52 Uhr

Bald waren die Tische Richtung Ausgang voll besetzt, während die Innenseite völlig leer war. Ein Schiff wäre unweigerlich gekentert. Der Kopf wurde langsam leer. Es ging gleich los.

19.01 Uhr

Nach einer launigen Begrüßung (ganz, ganz besonders herzlich), die der Freude Ausdruck gab, dass alle so zahlreich erschienen waren und den Weg ins Hotel gefunden hatten, sowie einem Zitat aus dem Zitatenschatz für den humorvollen Referenten, das K.Unde schon kannte, wurde sich erst mal ausgiebig bedankt. Bei den Zuschauern fürs Kommen, bei der Technik, dem Hotel, dem einladenden Zweigstellenleiter und bei der wundervollen Versicherung, die sie hier alle zusammengeführt hatte.

Dabei schien Herr Erater in dem Versicherungskonzern nicht wirklich viel zu sagen zu haben. Dauernd bat er darum, etwas zu dürfen („Ich darf Sie begrüßen“), begann Sätze mit „Erlauben Sie mir…“ und kündigte dauernd an, was er alles möchte: Begrüßen, Fortfahren, Einführen, Ausführen, Erklären, zum Schluss kommen und irgendwann enden. Warum tat er es nicht einfach? Sein Chef schien heute verhindert zu sein.

Endlich schaltete B.Erater den Beamer ein, wo das Desktop an Schärfe gewann. Karl Unde hätte den Link www.sexkontakter.de, der für ein paar verhaltene Lacher sorgte, vor dem Vortrag entfernt, aber nach einem kurzen Blick auf den Referenten lag es wohl eher an mangelnder Computerkenntnis als an einem ausschweifenden Sexualleben.

19.08 Uhr

Nach ein bisschen nervösem Herumgeklicke und der Suche nach der richtigen Datei, war es endlich soweit. Ein Segelschiff mit geblähten Segeln schoss ihm von der Folie entgegen. Die Botschaft war klar: Es gibt Dinge, die mehr Spaß machen als solche Vorträge: Segeln zum Beispiel.

Jetzt folgte auf zwei eng beschriebenen Seiten eine detaillierte Agenda, was in den nächsten zwei Stunden alles gesagt werden würde, so dass Erater schon nach knapp 9 Minuten fertig war. Dazu viele maritime Metaphern. Vom Wind des Lebens bis zur Flaute im Portemonnaie oder dem Familienkapitän, der im Hafen des Schwiegervaters ankommt, kam alles vor. Dazu müssten alle immer in die richtige Richtung blasen. Und die kennt nur B.Erater. Schon nach dem Vergleich mit einer römischen Galeere begann sich Unde zu langweilen.

19.21 Uhr

B.Erater begann jetzt endlich seinen Vortrag mit einem Rückblick in die Geschichte. Hatte doch schon der hart arbeitende Landarbeiter des letzten Jahrhunderts das Problem, dass er im Alter seiner Großmutter auf der Tasche liegen würde.

Karl Unde ertappte sich dabei, dass er mit den Fingern auf die Tischplatte trommelte, denn es gab nichts, an dem sich sein Blick festhaken konnte. Lediglich die Falten im Rückenteil des Referentenjacketts boten einen gewissen optischen Reiz, denn der Referent wandte dem Auditorium konsequent den Rücken zu. Wahrscheinlich wollte er später nicht erkannt werden. Keiner der Anwesenden würde später als Zeuge gegen ihn aussagen können.

Wörter tauchten auf, die Unde lange nicht mehr gehört hatte. Da war von „so mancher schöner Stunde“ in „trauter Runde“ in der man „sich tummelt“ im „Kreise derer, die man liebt“ die Rede.  Erater blickte „über den Tellerrand“, schimpfte auf „Vater Staat“ und „den Fiskus“ und bat das „Oberstübchen“ anzustrengen. Möglicherweise war Unde in eine Seniorenveranstaltung geraten.

Die Agenda wurde nun von einer eng beschriebenen Seite in Times New Roman Punkt 10 abgelöst worden. Wahrscheinlich hatte jemand die Folien rationiert. Aber das konnte auch nicht sein. Die beiden Zahlen 6/125 in der rechten unteren Ecke zeigten, wie es weiterging. B.Erater musste ahnen, dass die Schrift ziemlich klein war und las jetzt vorsichtshalber noch einmal alles vor. Dabei staunte Unde über die präzisen Formulierungen, die der Referent im mündlichen Vortrag durch keinerlei Abweichungen oder Variation vom aufgeschriebenen Konzept verwässerte.

Nach der zweiten vorgelesenen Folie hatte Unde leichte Kopfschmerzen. Er überlegte kurz, ob er nicht das Hand-out von der Größe des Telefonbuches eines mittleren Landkreises einfach mitnehmen und gehen sollte, aber noch war genügend Hoffnung in ihm, dass es besser wurde.

Die vierte Folie bot dann Abwechslung. Vier verschiedene Schrifttypen in 3 verschiedenen Farben unterstrichen das Gesagte auf verschiedenen Ebenen. Bunte Balkentabellen und Kuchendiagramme mit jeweils mindestens 120 Kästchen voller Zahlen verhalfen den Kopfschmerzen jetzt so richtig zum Ausbruch.

Und gelb auf orange und dunkelblau auf schwarz ergibt zwar Gemälde von ungeheurer Tiefe, bei Tabellen verschwimmen einfach nur die Buchstaben.

19.47 Uhr

Eine Folie voller Pfeile folgte. Die Feststellung, dass alles mit allem in Beziehung stehe, hätte völlig genügt. Stattdessen nutzte B.Erater die Gelegenheit, die Möglichkeiten des Laserpointers auszunutzen und fuchtelte damit zusätzlich herum wie mit einem mittelalterlichen Krummschwert. Lichtblitze schossen durch Undes Blickfeld und seine Augen begannen zu zucken. Das leichte Pochen an den Schläfen verstärkte sich. Unter normalen Umständen wäre er gegangen. Aber eine Mischung aus Anstand und Gruppenzwang klebte ihn auf seinem Stuhl fest. Außerdem hatte es bisher nichts zu Essen gegeben.

Für die nächsten Folien hatte sich B.Erater zur Steigerung der Aufmerksamkeit etwas Besonderes ausgedacht. Immer wieder flogen einzelne Wörter herein, wirbelten herum, um dann auf wunderbare Weise in einer Tabelle zu landen. Ein ausgeklügeltes Klicksystem löste diesen Tanz der Wörter aus.

Unde fühlte sich an die Schule erinnert, wo ihn schon das Aufdecken einzelner Zeilen auf dem Overheadprojektor dazu gebracht hatte, unaufhörlich die Fäuste zu ballen. Und alles wurde zur besseren Unverständlichkeit reichlich mit Floskeln garniert. Von „Der Punkt ist doch“ bis „Passen Sie auf!“, von „Ich betone es noch einmal!“ bis „in aller Deutlichkeit“. Wenn der Vortrag ein Text gewesen wäre, man hätte vieles streichen können.

Die tränenden Augen verengten sich und der Kopfschmerz ging in ein Pochen über. Hätte er statt der Pfefferminzbonbons Kopfschmerztabletten auf dem Tisch gehabt, er hätte von dem ganzen Röhrchen Gebrauch gemacht. Geh doch, flüsterte sein Instinkt.

20.18 Uhr

Die erste Frage des Referenten. Unde war so erschrocken, dass er zusammenzuckte. Um ihn herum Rascheln und Nesteln. Auch die anderen wachten auf. Ein Finger ging nach oben, dann noch einer und noch einer. Aber Erater war nicht zufrieden. Es sei alles richtig, betonte er fingerknetend, die Antworten gut bis sehr gut, manche sogar außergewöhnlich gut. Aber er suchte weiter unermüdlich nach Antworten, bis ein untersetzter Mann, Typ Versicherungsvertreter (vermutlich ein Kollege), ihn erlöste und die Antwort gab, die zur nächsten Folie passte. Es konnte weitergehen.

Unde nahm einen Schluck Wasser und atmete durch. Fast hätte er einen Energieschub bekommen, sich zum Ausgang vorzukämpfen, aber die Kopfschmerzen waren jetzt so stark, dass der Seminarraum die Größe einer Halle erreicht hatte, die er unmöglich in einer halben Stunde hätte durchqueren können.

B.Erater sagte gerade zum dritten Mal etwas, das er schon gesagt hatte und betonte auch, dass er das ja schon gesagt habe – ja schon wiederholt gesagt habe. Wahrscheinlich hatte man ihm beigebracht, Kernsätze zu wiederholen. Das Pochen in Undes Schläfen wurde unerträglich.

Die Redundanz wuchs mit der Länge des Vortrages. Da konnten „Entwicklungsprozesse zeitlich nicht abgebildet“ werden, „innovative und maßgeschneiderte Zusatzleistungen“ verloren ihre „negative Wertschöpfung“ und „systemorientierte Erkenntnisgewinne“ schufen ein „subsumierendes Stabilitätsumfeld“. Mit so viel Wortmüll beworfen zu werden, erzeugte einen weiteren Schwindel, der von einer zunehmenden Aggression begeleitet wurde.

Am liebsten benutzte Erater Substantive, weil man die besser ins Auditorium schleudern konnte. „Bei den Einflussnahmen auf die Ablaufleistung sollten Sie in Betracht ziehen, dass nur Finanzmittel zum Einsatz kommen, die nicht in der Altersversorgung Verwendung finden.“ Dazu vermischten sich ständig die Bereiche. Der berufliche mit dem privaten, der sportliche mit dem kulturellen, der versicherungstechnische mit dem suboptimierten Bereich. Die Phrasendreschmaschine drehte sich wummernd in Undes Schädel.

20.31 Uhr

Der Vortragende begann jetzt ein paar Folien blitzschnell durchzuklicken. Dabei wurde fast keine Folie weggeklickt, ohne das Versprechen, darauf nachher vielleicht eventuell noch einmal zurückzukommen, wenn die Zeit reiche. Unde überlegte, ob man das als Folter in südamerikanischen Gefängnissen einführen sollte. Eine grausame aber bisher sicher nicht verbotene Methode, Menschen um den Verstand zu bringen.

Inzwischen war fröhliches Folienhopping angesagt. Mal wurde vorgesprungen, mal wieder zurück.

Der körperliche Einsatz beim Vor- und Zurückklicken der Folien strengte Erater inzwischen so an, dass er zu schwitzen begann. Kurz entschlossen zog er sein Sakko aus, und zwei riesige Schwitzflecken zeigten sich unter den Armen, die sich in den nächsten Minuten langsam Richtung Gürtel und Knopfleiste ausbreiteten. Der narkotisierende Geruch durchgeschwitzten Polyamids waberte bis zu Unde in die dritte Reihe und verursachte ihm zu den Kopf- auch noch Magenschmerzen.

Nicht nur die Sätze wurden immer länger. Nein, auch die Wörter: „Berufshaftpflichtversicherungsleistungsspektrum“ hallte es durch den Raum oder „Ablaufleistungstarifvariantenvielfalt“. Die Wortungetüme dröhnten in seinen Ohren wie Presslufthämmer.

Unde war jetzt so etwas wie krank. Stechende Kopfschmerzen, ein unaufhörliches Flimmern vor den Augen und ein Ballon in der Magengrube, der ständig größer wurde.

21.01 Uhr

Als die erlösenden Worte „Noch Fragen? – Nein? – Danke!“ wie aus der Ferne zu Unde drangen, wurde ihm so schwindelig, dass er wie in Zeitlupe vom Stuhl rutschte. Den Blick wie in den gefühlten 18 Stunden, die er hier gesessen hatte, starr nach vorne gerichtet, glitt Unde zu Boden, streifte mit einer unachtsamen Bewegung des Kopfes im Fallen die Tischplatte und ging anschließend zu Boden. Ein warmes Gefühl breitete sich aus, das genau von der Stelle seines Kopfes ausging, die hart auf den Tisch geschlagen war. Alles drehte sich. „Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.“ Die Welt war ein großes Karussell, das langsam an Fahrt gewann. Ihm wurde schwarz vor Augen. Kurz bevor ihm die Sinne schwanden… wachte er auf.

21.05 Uhr

Herr Erater wies noch auf die zwei Vorträge in den nächsten Tagen hin, bevor der die vier Worte sagte, auf die Karl Unde schon seit Stunden wartete: „Das – Büffet – ist – eröffnet.“

Michael Rossié

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