Prof. Dr. Arnold Weissman
Im „Büro der Zukunft“ sollen Mitarbeiter an mobilen Arbeitsplätzen und in schicken Lounges gemeinsam Innovationen entwickeln, mit den Methoden der Start-ups arbeiten und sich vernetzen. Viele Unternehmen haben erkannt, dass sie sich verändern müssen, wenn sie auch noch in fünf oder zehn Jahren in der durch Globalisierung und Digitalisierung beschleunigten Welt zu den Besten gehören möchten. Unklarheit besteht über das Wie. Mit einer Investition in eine neue Büroumgebung ist es nicht getan. Mit den bisher erfolgreichen Strukturen, Prozessen und Managementmethoden kommen wir nicht mehr weiter. Im Gegenteil: Sie hindern uns daran, die Chancen der neuen Welt zu ergreifen. Wir versuchen Probleme von heute mit den Instrumenten von vorgestern zu lösen und dringen nicht zum Kern des Problems vor: Komplexität.
Komplexität im Innern bremst
Komplexität ist in meinen Augen etwas Gutes, weil komplexe Probleme und Aufgabenstellungen die Chance zur Differenzierung bieten. Komplexe, anspruchsvolle, brennende Kundenprobleme besser zu lösen als andere, war auch bisher der Hebel für nachhaltigen Erfolg. Doch die komplizierten Strukturen und Prozesse, die in unseren Unternehmen herrschen, machen dies schwierig bis unmöglich. In manchen Unternehmen umfasst die Angebotserstellung mehr als 25 Schritte und involviert mehrere Fachabteilungen. Mehrfache Bearbeitungsschleifen machen den Prozess noch komplizierter und letztlich leidet daran nicht nur das Unternehmen, sondern auch der Kunde, der ungebührlich lange auf sein Angebot wartet. Einfachheit ist auch eine Frage der Unternehmenskultur, doch die lässt sich nicht durch eine neue Büroumgebung verändern. Gebraucht werden Führungskräfte, die so authentisch, fair und offen führen, dass ihnen die Mitarbeiter in eine unsichere Zukunft folgen.
Einfachheit führt zu Überlegenheit
Weder die rein quantitative Steigerung der Produktzahl noch strenges Kostenmanagement allein bringen dem Unternehmen die Prosperität und Sicherheit, die es für eine stabile Entwicklung braucht. Nach innen konzentrieren und nach außen differenzieren heißt, aus wenigen Modulen eine Vielfalt von Produkten zu schaffen oder aus wenigen Vorgängen ein möglichst breites Leistungsspektrum zu kreieren. Das ist eigentlich nichts Neues: McKinsey identifizierte schon in den 1990er-Jahren in einer Untersuchung von 39 mittelständischen Unternehmen die Einfachheit in Prozessen und Strukturen als Grund für einen überzeugenden Unternehmenserfolg. Trotzdem gibt es nach wie vor große und kleine Unternehmen, die sich durch eigeninitiierte Bürokratie und Komplexität selbst das Wasser abgraben.
Komplexität bewältigen
Unternehmen sollten sich daran machen, die Organisation 4.0 zu schaffen, bevor sie den Arbeitsplatz 4.0 gestalten. Die Organisation 4.0 ist für mich eine vernetzte Organisation, die durch den Kunden und seine Bedürfnisse bestimmt wird. Der Kunde wird in dieser Organisation zum Partner in einem gemeinsamen Lösungsprozess und die gesamte Wertschöpfungskette wird mit allen Partnern vernetzt. Solche Unternehmen nutzen moderne Technologien für die Möglichkeit individueller Kundenlösungen.
Vernetztes Denken ist die pragmatische Fähigkeit, unterschiedliche Faktoren einer Situation gleichzeitig zu berücksichtigen und in Handlungskonzepte zu integrieren. Komplexität bedeutet letztlich, dass wir es mit einer Vielzahl von Aspekten zu tun haben, die untereinander verbunden sind, in ihrem Zusammenwirken undeutlich sind, unerwünschte Wirkungen auslösen und schwer kalkulierbar sind. Das können wir nur bewältigen, wenn wir die Prinzipien unserer Organisation ändern: Autonomie, Delegation, Standardisierung, Trennung von Funktionen, Transparenz, die Schaffung kleiner übersichtlicher Einheiten, Eigeninitiative, Vertrauen. Die Organisation, die Komplexität am besten bewältigt, gleicht einem Baum, dessen zahlreiche Äste und Blätter – selbstorganisierte, kundenorientierte Teams – eine große, differenzierte Oberfläche bilden und so den wichtigen Oberflächenkontakt zum Markt und zum Kunden bekommen. Genau dieser Effekt ist es, der eine lernende Organisation fördert und Unternehmen entstehen lässt, die anspruchsvolle Lösungen für komplexe Probleme entwickeln. Dann könnte eine angepasste Büroumgebung sinnvoll sein.
Weitere Informationen zum Thema Organisation 4.0 finden Sie hier: https://www.speakers-excellence.de/redner/arnold-weissman-agenda-2020.html