Transformation ist „in“, denn Change klingt mittlerweile wirklich abgewohnt, finden Sie nicht? Noch dazu wo Change-Prozesse selten das einlösen, was vorausblickende Führungskräfte erhoffen.
Wäre da Transformation eine bessere Antwort? Oder ist Transformation nur Change im neuen sprachlichen Look? Falls es jedoch mehr als ein cleverer Marken-Relaunch verkaufstüchtiger Berater wäre, wann passt welches Konzept und welche Unterschiede
bestehen?
Change. Anpassen und Lernen, um ans Ziel zu gelangen.
Change-Prozesse sind geplante organisationale Adaptions- und Lernprozesse. Sie sind auf ein bekanntes Ziel, ein erwünschtes Ergebnis hin ausgerichtet. Für diesen aus Sicht der Impulsgeber erwünschten Sollzustand werden dafür nötige Lerninhalte wie Kompetenzen, Einstellungen oder neue Werte abgeleitet und teilnehmergerecht verpackt. Parallel dazu werden Strukturen, Systeme und Prozesse angepasst.
Dies geschieht in der Hoffnung, dass die Verantwortlichen mit dem ihrem Ziel rechtbehalten und die geplanten Maßnahmen die gegenwärtigen Probleme lösen oder die für die Planenden wünschenswerte Ziele (z.B.: mehr Gewinn und Wachstum, Modernisierung) erreicht werden.
Also werden neue Aufbau- und Ablauforganisationen geplant, Funktionsprofile adaptiert, Technologien implementiert und die Organisationskultur stimuliert. Die MitarbeiterInnen werden entsprechend verschoben, eingestellt oder abgebaut.
Die Veränderungs- und Lernschritte werden mechanistisch oder systemisch umgesetzt. Also old-school nach dem unfreeze-change-refreeze Entwicklungsverständnis.
Spätestens seit den 1980iger Jahren sind iterative systemische Lernprozesse, die auf Reflexion und Rückkopplung basieren, State-of-the-Art. Veränderte werden zu Beteiligten, ja Akteuren gemacht. Die laufende Rückkopplung der während der Umsetzung gewonnen Erfahrungen dient als Motor und Angelpunkt der systemisch inspirierten Veränderungsarchitekturen.
Eine Reflexionsebene tiefer als dieses Single-loop Lernprinzip reicht das Double-looplearning. Es betrifft die Erkundung der mentalen Modelle und implizierten Werte, die in den Entscheidungen und Lösungen sichtbar werden. Erst der Blick auf die meist nur implizite Mission und Unternehmensidentität ist die gewichtigste und gleichzeitig seltenste Ebene der Rückkopplung in Change-Prozessen (Deutero-learning).
In der Praxis dominieren Mischformen. Der Rückfall zu autoritär-mechanistischen Konzepten erfolgt meist, wenn es schnell gehen soll und zwangsbeglückte Change- Kandidaten nicht erwartungsgemäß reagieren.
Doch egal wie viele Loops auf den verschiedenen Reflexionsebenen gedreht werden und welches Entwicklungsverständnis gewählt wird, es bleibt die Adaption auf ein bekanntes Ziel im bestehenden Wirklichkeitsrahmen. Worin unterscheidet sich das von Transformation und was ist Transformation nun wirklich?
Die Neuerfindung der Wirklichkeit
Auch wenn Methoden und Formate von außen oft sehr ähnlich wirken, unterscheiden sich Auslöser, Prozess und hilfreiche Bedingungen von Change und Transformation fundamental.
Denn Transformation ist keine Anpassung, Optimierung oder Entwicklung auf ein bekanntes, bereits denkbares Ziel hin. Transformativer Wandel bedeutet den Übergang von der Wirklichkeit eines epochalen Entwicklungsbogens zur nächsten. Verbunden mit der Fähigkeit den dabei entstehenden neuen Möglichkeitsraum zu nutzen. Transformative Übergänge sind radikale gedankliche Neuordnungen. Die Neuerzählung von Wirklichkeit inklusive der Rolle, ja Identität der erzählenden Person bzw. Organisation darin.
Erst wenn dieses radikale Neuverstehen der Welt gelingt, können davor noch undenkbare neue Ziele am Horizont ausgemacht, weil überhaupt erst gedacht werden. Die dabei aufkommenden radikal neuen Visionen dienen für die meist in der Folge erforderlichen Change-Vorhaben.
Eine Epoche ist dabei alles, was die Wirklichkeit und Identität der Wahrnehmenden für einen bestimmten Zeitabschnitt bestimmt, laufend formt und natürlich gleichzeitig auch beschränkt. Eine solche Ära oder ein Paradigma kann sehr unterschiedliche Entwicklungsbögen beschreiben. Zum Beispiel wenn eine neue Technologie, eine bestimmte Wirtschaftspolitik oder ein gesellschaftliches Umfeld ein neues Welterleben erzeugt.
Aber auch ein durch ein „epochales“ Ereignis abgegrenzter Zeitabschnitt in der Geschichtserzählung einer Organisation ist eine Entwicklungsepoche. Eine Ära mit einer unbewussten, aber wirksamen internen Wahrheit, mit Anfang, Wachstum, Höhepunkt, Niedergang und Ende.
Dabei ist epochaler Wandel ist nicht von der Dauer oder dem Ausmaß objektiver Konsequenzen des Übergangs charakterisiert. Sondern die erfolgreiche Auflösung und Neuerzählung des bisherigen Welt- und Selbstverständnisses einer Person, Organisation oder Gesellschaft.
Zeichen lesen können und dürfen
Erfolg hat, wer eine Situation lesen und das dafür angemessene Konzept, also Change oder Transformation, einsetzen kann und auch darf.
Allzu oft münden Unwissenheit über die Unterschiede, Fehlinterpretation der Ausgangssituation oder schlichte Verweigerung zu kostspieligen und wirkungslosen Change-Projekten.
Die heutige als VUCA1 charakterisierte Welt ist ein Signal für epochale Umbruchssituationen. Und aktuell kommen sogar einige große epochale Entwicklungsbögen gleichzeitig an ihr Ende. Etwa das an der Klimaerwärmung dem vielgestaltigen ökologischen Kollaps erkennbare, über 250 Jahre andauernde Zeitalter des ungebremsten, auf fossile Energie und grenzenloser Ausbeutung basierenden wachstumsorientierten Wirtschaftssystem. Die Ära des neoliberalen Finanzturbokapitalismus, der viele Errungenschaften der Marktwirtschaft pervertiert, beschleunigt die dringend nötige
paradigmatische Erneuerung. Die Corona-Disruption wirkt dabei vor allem als Sehhilfe und Brandbeschleuniger. Aber auch das Ende des mehr als 10.000 Jahre währenden Zeitalters der lokalen Lebensweise (im Gegensatz zur nomadisierenden), das durch die Digitalisierung, die die Bedeutung von Räumlichkeit und Zeitlichkeit zunehmend aufhebt, beendet bisherige Ordnungen. So geraten staatliche Gesetzgebungen, nationale Steuern,
Präsenzarbeitskonzepte ebenso wie stationäre Vertriebswege ins Schlingern.
Die zentrale Frage in dieser Zeit der Umbrüche ist daher, wo ist Change wirklich noch angemessen? In welchen Fällen müssen die aktuellen Denkgebäude und Lösungsprinzipien, die oft ebenso die Ursache des Problems sind, zurücklassen werden, um den Blick in Richtung Neuland freizugeben.
Das Ende der Verwechslungen
Die oft fehlende Unterscheidung der beiden Konzepte setzt sich meist bei der Umsetzung fort. Mit fatalen Folgen. Denn der Prozess transformativen Übergangs und die korrespondierenden emotionalen und inhaltlichen Herausforderungen unterscheiden sich fundamental. Zusätzlich sind sie im wirtschaftlichen oder gesellschaftspolitischen Kontext oft weitgehend tabuisiert.
Doch als Leser dieses Beitrag haben Sie nun den Vorteil die wesentlichen Unterscheidungsmerkmale zu kennen und die passende Herangehensweisen zu wählen.
Um Ihre Transformationskompetenz noch weiter zu stärken können Sie auch gleich beim nächsten Problem oder geplanten Veränderungsvorhaben innehalten und sich vor dem gewohnten Problemlösungsreflex folgende Fragen stellen:
Change oder doch epochale Transformation?
1. Warum entsteht dieses Problem, diese Anforderung überhaupt? Dringen Sie weiter zum Kern vor, indem Sie ihre Antworten erneut dieser Frage unterwerfen und wiederholen Sie diesen Vorgang mindestens fünf(!) Mal.
2. Welche Hoffnung verbinde Sie mit einer potenziellen Lösung?
3. Warum ist diese Lösung nicht nur mehr vom selben (Problem) und verzögert daher nur den unabwendbaren Wandel?
4. Welches epochale Ende könnte stattdessen damit sichtbar werden?
Ich wünsche Ihnen spannende Erkenntnisse!