Zu den großen Problemen in dieser Corona-Krise hat sicher gehört, dass wir – Bürger wie Unternehmen – die Bedrohung des Corona-Virus zunächst massiv unterschätzt haben. Obwohl die ersten Warnungen aus China bereits Anfang Januar vorlagen, haben wir erst in den letzten zwei bis drei Wochen begonnen, ernsthafte Konsequenzen zu ziehen. Hätte man früher reagiert, hätte man vieles vermeiden können. Doch wäre ein solches Szenario realistisch: Hätten wir HomeOffice eingeführt nur auf einen Verdacht hin? Hätten wir uns Einschränkungen in unserer Bewegungsfreiheit vorschreiben lassen? Es vernünftig gefunden, dass Gaststätten, Geschäfte und Restaurants schließen? Hätten Krankenhäuser auf Verdacht hin eine Million Sätze Schutzkleidung bestellt? Unternehmen auf Vorrat produziert? Wahrscheinlich nicht. Offenbar sind wir Menschen schlecht darin, auf Dinge zu reagieren, die noch nicht passiert sind, obwohl sie mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit passieren könnten.
Schwarzmaler oder positiver Prophet?
Wir müssen uns nur anschauen, wie wir 2015 reagiert haben, als Microsoft-Gründer Bill Gates in einer Rede nicht vor Atombomben, sondern vor einer weltweiten Pandemie als eigentlicher Bedrohung der Menschheit gewarnt hat: Nämlich gar nicht. Der, der vor vermeintlich abstrakten Gefahren warnt, ist schnell der Panikmache bezichtigt oder gilt als Schwarzmaler. Gerade in Unternehmen haben solche Mitarbeiter einen schweren Stand. Warnungen werden als „abstrakt“ in den Wind geschlagen, Hinweise auf drohende Risiken im Markt gehen in den flammenden Appellen des Chefs unter, wie toll man doch aufgestellt ist. Auch warnende Hinweise, dass in der Produktion etwas schief läuft, dass Sicherheitsvorschriften zu lax ausgelegt werden, dass Kunden verloren gehen könnten, werden ganz schnell auf ihrem Weg von unten nach oben ausgebremst. Schnell hat derjenige seinen Ruf als Schwarzmaler, als Untergangsprophet und Bremser weg. Die Corona-Krise hat uns gezeigt, dass diese Welt-Wahrnehmung weit über das eigene Unternehmen hinausreichen muss. In den globalen Liefer-, Produktions- und Kommunikationsketten können heute schon weit entfernte Ereignisse direkt auf das eigene Unternehmen oder dessen Kunden durchschlagen.
Warnhinweise ernst nehmen
Wie erkenne ich als Unternehmer Risiken so rechtzeitig, dass ich schneller als andere reagieren kann? Wie schaffe ich eine Grund-Wachsamkeit im ganzen Unternehmen, ohne jeden Tag den Krisen-Modus auszurufen? Wie stelle ich sicher, dass Warnhinweise ernst genommen und nicht unter einem täglich befeuerten Optimismus begraben werden? Wie erkenne ich frühzeitig auch neue Geschäftschancen und bin in der Lage, mein Geschäftsmodell rasch anzupassen? Ich nenne diese Fähigkeit „Corporate Predictive Acting“ als präventive Wahrnehmung von Existenzrisiken und adaptive Anpassung.
In Gesprächen mit Unternehmern über diese Fragen ergibt sich ein ziemlich einheitliches Bild: Man ist durchweg überzeugt, dass man einen guten Überblick über die Risiken hat und schnell genug reagieren kann. Man hält solche Risiken für „Sonderfälle“, die irgendwann wieder in den „normalen“ Unternehmensalltag überleiten. Man glaubt sich mit Notfallplänen und Krisenszenarien ausreichend gerüstet. Man hat, so die Überzeugung der meisten Unternehmer, genug damit zu tun, sich den Herausforderungen des Alltags zu stellen und das Unternehmen durch gesundes Wachstum so aufzustellen, dass es auch Krisenzeiten überstehen kann. Oder man gibt sich fatalistisch: „Wenn ein Asteroid die Erde auslöscht, ist es sowieso egal“.
In 6 Schritten zum präventiv denkenden Unternehmen
Hier gebe ich Ihnen aus meiner Führungs- und Management-Erfahrung sechs Hinweise, die Unternehmen helfen können, diese Fähigkeit zum „Corporate Predictive Acting“ und zu adaptiver Anpassung zu erhöhen.
a. Gestalten Sie die Unternehmenskultur so, dass Warnungen und Hinweise auf Risiken, Fehlentwicklungen und existenzgefährdende Ereignisse nicht versickern oder als unwichtig abgetan werden. Schaffen Sie dafür einen Ansprechpartner außerhalb der Hierarchien. Denn konstruktive Hinweise versacken um so eher, je hierarchischer das Unternehmen strukturiert ist. Ermuntern Sie Mitarbeiter, Ihnen gegenüber auch kritisch zu sein. Versammeln Sie nicht nur Ja-Sager um sich.
b. Werden Sie sich als Unternehmer ganz persönlich klar darüber, ob ihr Risikobewusstsein ausgeprägt genug ist oder ob sie eher zu den ärmelhochkrempelnden Managern gehören, die alleine ihren Berufs-Optimismus für konstruktive Robustheit halten? Was für ein Risikotyp sind Sie?
c. Prüfen Sie die Risikosysteme in Ihrem Unternehmen. Existieren Notfallpläne, Krisenhandbücher und mehrere Szenarien zum schnellen Wechsel bei Liefer- und Produktionsketten oder ihrem gesamten Geschäftsmodell? Ist ihr Unternehmen flexibel genug für solche schnellen und eventuell massiven Anpassungen? Denken Sie radikal genug für den Fall eines „shut downs“?
d. Führen Sie einmal jährlich eine Krisenübung in ihrem Unternehmen durch. Auch auf Kreuzfahrtschiffen wird vor jeder Reise eine Rettungsübung als Standard. Schaffen Sie damit ein Bewusstsein, auf Risiken schnell genug zu reagieren.
e. Denken Sie präventiv radikal andere Geschäftsmodelle durch für den Fall, dass ihr Basisgeschäft zusammenbrechen sollte (Krise, Gesetzgebung/Verbote, Proteste etc.). Was können Sie noch außer dem, was sie heute gerade tun? Welche Fähigkeiten sind in ihrem Unternehmen versammelt? Was können Sie noch produzieren? In einer ganz anderen Branche, wenn es sein muss? Wie radikal können Sie sich verändern?
f. Sind Sie in der Lage, präventiv zu reagieren, bevor sie – meist unter deutlich höherem Druck – dazu gezwungen werden? Ist ihr Unternehmen in der Lage, schneller als der Wettbewerb zu reagieren? Sind Sie selbst bereit dazu?
g. Zu den Vorgängen, die man beobachten und auf die man präventiv reagieren kann, können gehören:
a. Politische Vorgaben/Regulationen/Gesetze.
b. Revolutionen/Bürgerkriege/Terror.
c. Preisentwicklung der Rohstoffmärkte.
d. Liquiditäts- & Finanzlage / Kostenstruktur.
e. Veränderungen im Absatz-/Kunden-Markt.
f. Störungen in Logistik- und Produktionsketten
g. Gesellschaftlicher Druck (NGOs, Zeitgeist-Themen)
h. Arbeitsmarkt (Fachkräfte/Mindestlohn)
i. Geologische Ereignisse/Naturkatastrophen
j. Extraterrestrische Ereignisse
k. Epidemien/Pandemien
Aus all dem kann sich eine erweiterte Sicht ergeben. Die vorausschauende Planung, die Planung in Ungewissheiten hinein ist für Unternehmen nicht neu. Aber die Fähigkeit, schneller als der Wettbewerb auf das zu reagieren, was kommen kann, die Fähigkeit zum „Corporate Predictive Acting“ sollte zu einer der wichtigsten Fähigkeiten unserer Unternehmen in den vor uns liegenden Jahren werden. Diese Fähigkeit macht unsere Wirtschaft und unser Land insgesamt robuster.