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Miriam Kohlhaas

4. Oktober 2018

The Leader (#Warum fragen wir nicht einfach die Besten? – Episode 6)

Von einem engen Freund von mir wurde ich zu diesem Interview quasi gedrängt. Ich habe ja bereits ein Interview mit einem der besten Wide Receiver Deutschlands (zum Insiderbericht von Niklas Römer) geführt und hatte eigentlich vor, jeweils nur einen Spieler pro Position zu befragen. Aber Ole Kretschmann, sein Coach (und mein bester Freund), bestand darauf. Er versprach mir, dass es sich lohnen würde Yannick Baumgärtner kennenzulernen – und ja, das tat es.

Wie ist es eigentlich, mit der Liebe zum Football nicht alleine zu sein? Wenn die ganze Familie jede freie Minute auf dem Platz steht? Wie fühlt es sich eigentlich an, wenn die eigenen Eltern einen Meisterschaftsring besitzen – man selbst aber noch nicht? Fragen über Fragen an Yannick Baumgärtner. 

 

Yannick, wie bist du zum Football gekommen? 

Zum ersten Mal habe ich den Football über Besuche bei Rhein Fire Düsseldorf kennengelernt – und ich hab es toll gefunden. Mit sieben Jahren bin ich zu den Düsseldorf Bulldozern gegangen.

Als ich 16 Jahre alt war, hatte ich ein Spiel mit der Greenmachine, bei der meine beiden Eltern tätig wurden. Meine Mutter als Physiotherapeutin und mein Vater als Kameramann. Der American Football Verband Deutschland (AFVD) hat dann beide direkt für die Jugend-Nationalmannschaft verpflichtet.

Ein weiteres Jahr habe ich dann noch bei den Düsseldorf Panther in der Jugend gespielt. Im Finale haben wir gegen die Berlin Adler verloren und mir gegenüber stand Björn Werner. 2010 spielte ich meine erste Saison bei den Herren und wir stiegen in die erste Liga auf. Mit mir spielten dort unter anderem Niklas Römer (zum Insiderbericht) und Dominik Hanselmann.

In der ersten Liga hatte ich jedes Jahr einen neuen Head Coach, in einem Jahr sogar zwei. Da gab es keine Beständigkeit und gerade die hat mir damals sehr gefehlt. Zwei Jahre hatten wir Glück, dass zwei Teams zwangsabgestiegen sind und wir so als letzter in der Liga bleiben konnten.

Als Niklas und Dominik wechselten, war ich Starter auf meiner Position, aber zeitgleich kamen auch meine dunkelsten Zeiten. Zwei Jahre hintereinander hatte ich jeweils eine Eckgelenkssprengung in beiden Schultern und konnte jeweils nur eine halbe Saison mitspielen und trainieren.

2015 wechselte ich dann nach Essen zu den Assindia Cardinals. Für mich war klar, dass ich mindestens in der 2. Liga spielen wollte. Ich kannte einige Jungs von dort, kannte den Headcoach Yves Thyssen persönlich und wusste, dass wenn er mir etwas verspricht, er es auch hält.

Aus persönlichen Gründen, wegen der Arbeit, Freunden und meiner Familie wollte ich unbedingt in der Nähe bleiben. Allein aus monetären Gründen, oder weil der Team-Erfolg gesichert scheint, wollte ich nicht in eine Mannschaft wechseln. Für mich waren und sind andere Dinge viel wichtiger!

Ich habe lieber ein Team, in dem Jungs spielen, die diesen Sport lieben und die nicht nur spielen, weil eine gewisse Summe auf ihrem Konto auftaucht oder weil sie bald einen Ring am Finger tragen. Für mich sind es vielmehr die Jungs, mit denen ich Seite an Seite stehe, die diesen Sport genauso lieben wie ich und deshalb auf dem Platz neben mir stehen.

Hattest du jemals ein Problem damit, dass deine Eltern ständige Begleiter waren? 

Ich bin sehr gerne mit meiner Familie zusammen und so habe ich mich immer gefreut, in dieser Zeit meine Familie bei mir zu haben. Meine Mama hatte viel öfter Sorge, dass mich das stören würde und hat mich immer wieder gefragt, ob es wirklich ok für mich ist.

Das ist ja mittlerweile ein paar Jahre her. Meine Eltern hatten damals sehr viel für meinen Ex-Verein getan und sind leider auf eine sehr unschöne Art und Weise dort „gegangen worden“. Daraufhin hatte ich dann verkündet, dass ich nur noch das letzte Saisonspiel für dieses Team spielen werde und dann nie wieder. In den letzten zwei Jahren hatte ich auch immer wieder Anfragen, würde diese aber nie wieder annehmen.

Was treibt dich an?

Ich bin jemand, der nie zufrieden mit sich ist. Für dieses Jahr ist es mein Ziel, international spielen zu dürfen. 2018 möchte ich dann bei der Europameisterschaft im eigenen Land für Deutschland spielen.
Meine ständigen Ziele sind immer das Beste von mir selbst zu und immer das Beste für‘s Team zu geben.

Ich will einer der besten Receiver in Deutschland sein. Aber nicht in einem Team, in dem ich einen amerikanischen Quarterback oder Runningback habe, sondern in einem Team, in dem die nationalen Jungs genauso mit mir dafür kämpfen müssen, um Imports zu schlagen. Zudem erfüllt es mich sehr, andere Spieler mitzuziehen und voran zu gehen.

So habe ich zum Beispiel in der letzten Saison anderen jüngeren Spielern mit extra Trainingseinheiten geholfen, damit wir als Team besser werden. Tipps, Tricks und Wissen weitergegeben, um uns weiter zu bringen.

Auf dem Feld bin ich wie in einer anderen Welt. Würde ich auf der Straße herumlaufen, ohne Helm und Pad, so würde ich nie einem anderen Menschen weh tun, aber auf dem Platz ist es etwas anderes. Es ist eine Competition und ich will immer besser sein als die anderen.

Viele Menschen sagen, dass zu viel Sport eine Sucht ist oder eine Einstellung – für mich ist es einfach mein Leben! Ich könnte mir mein Leben nicht anders vorstellen und habe deshalb auch noch einen sportlichen Beruf gewählt, da ich sowieso den ganzen Tag Sport mache. Um selbst zu trainieren, gehe ich zusätzlich noch in ein weiteres Fitnessstudio.

Außerhalb der Saison bin ich sechs Tage pro Woche im Studio. In der Saison heisst das: vier Tage Studio, zwei Tage Training, ein Tag Spiel und einen Erholungstag, obwohl ich auch da nicht still sitzen kann.

Was würdest du jüngeren Spielern raten? 

Unser Sport wird immer athletischer und so ist es meiner Meinung nach enorm wichtig, sich dort stets weiterzuentwickeln.

Geht also so viel wie möglich ins Fitnessstudio, vernachlässigt dabei nicht die Schule aber seid euch dann bewusst, dass es nichts anderes geben wird als Schule und Training.

Und es ist schwer jemanden zu finden, der dann versteht, dass es nicht nur ein Hobby ist, sondern ein Lebensstil. Für mich ist es immer das Schönste gewesen am nächsten Tag mit meinen Jungs auf dem Platz zu stehen. Auch in meiner Jugendzeit, in der alle meine Freunde angefangen haben, Party zu machen, habe ich angefangen zu trainieren. Es kam mir einfach sinnvoller vor auf meinem Weg. Ich trinke auch fast keinen Alkohol. Ich möchte, dass mein Körper immer bestmöglich vorbereitet ist. Ich habe mich irgendwann immer mehr auf den Sport konzentriert und die Schule ist für mich immer mehr in den Hintergrund gerückt. Dadurch, dass ich allerdings dann kein Abitur hatte, konnte ich auch zwei tollen Angeboten von Colleges in Amerika nicht folgen, was ich im Nachhinein sehr schade fand. Nach der Schule habe ich dann freiberuflich gearbeitet und an Schulen mit Kindern motorische Tests durchgeführt. Ich habe ein Einstiegs-Qualifikations-Jahr bei den Panthern gemacht und dann in der Ausbildung auch wieder die Lust an der Schule neu gefunden, da es um das ging, was mich am meisten interessierte.

ES MUSS NACH VORNE GEHEN – ZURÜCK GEHT NIE!

 

Welche Rituale hast du?

Bei mir beginnt die Vorbereitung schon in der Woche vor dem Spiel – Gameweek. In dieser Woche muss für mich alles klappen. Jede Wiederholung. Und am Tag vorher schlemme ich, gucke einen Film, etwas, dass mich aus der Welt zieht. Ich packe meine Tasche sehr genau, das gibt mir Sicherheit. Und zudem weiß ich meistens eine Woche vorher, was ich am Gameday tragen werde. So kann ich mir besser vorstellen, wie ich auf dem Platz aussehen werde.

Am Abend vor jedem Spiel werde ich ruhig. Ich spiele dann Szenarien des Spieltages im Kopf durch. Was ist, wenn plötzlich meine Beine schlapp sind, wenn meine Hände nicht das machen, was ich will, wenn ich Bälle droppe. Dann fange ich an, mir zu jeder Situation eine mögliche Handlung zu überlegen und mir durch Zuspruch Mut zu machen – Du hast genug trainiert!

Ich bin vor jedem Spiel noch immer nervös. Dann werde ich ruhig und konzentriere mich. Auch bei Auswärtsfahrten suche ich mir als Zimmerpartner immer ruhige Spieler und sage den Teamkollegen auch, dass ich nun meine Ruhe brauche. Ich habe gemerkt, dass wenn ich zum Beispiel am Abend zuvor noch auf einen Geburtstag oder ähnliches gehe, dann komme ich viel schlechter in meinen Spielmodus.

Am Tag selbst denke ich sofort nach dem Aufstehen: Gameday – und mein Magen kribbelt. Dann frühstücke ich meistens herzhaft Bacon und Ei, ich checke die Tasche noch einmal. Dann ziehe ich mich an, wobei ich immer darauf achte, dass ich dann im Spiel noch einmal komplett neue Kleidung anhabe und nichts von zuvor trage. Für mich ist es, als würde ich eine Uniform anziehen. Seit Jahren habe ich orange Crocs an, egal, wie das Wetter ist, ich komme und gehe in diesen Schuhen. (Anmerkung der Redaktion: Unheimlich schön…!)

Angekommen im Stadion bringe ich als erstes meine Tasche weg, ziehe mir Handschuhe an und gehe auf den Platz, die ersten Bälle werfen. Zusätzlich zum eigenen Aufwärmen mache ich noch immer kurz ein eigenes Warmup. Dann esse ich noch einmal ganz in Ruhe auf der Tribüne – ab diesem Zeitpunkt werde ich ruhiger und es geht für mich los. Ab da bin ich im Modus. In diesem Jahr bin ich zum Teamcaptain gewählt wurden und übernehme nach meinem Aufwärmtraining mit dem gesamten Team noch eine kleine Ansprache ans Team. Dann freue ich mich einfach nur noch wahnsinnig und möchte diesen verdammten Ball haben.

Sollte ein Spieler auf deiner Position furchtlos sein?

Ja und nein. Ja, wenn es darum geht, um den Ball zu kämpfen und wenn es darum geht gegen einen guten Gegner zu spielen. Nein, wenn es darum geht, sich zu schützen, um die ganze Saison für das Team da zu sein und nicht nur einen Spielzug.

Denkst du ein Spieler auf deiner Position hat narzisstische Züge?

Die müssen wir haben. Wenn man als Wide Receiver auf dem Platz steht, gehört einem dieser Platz. Wenn der Ball in der Luft ist, sollte er immer zu mir kommen, denn ich bin immer frei – nur mit diesem Gedanken in meinem Kopf habe ich die Chance auf Erfolg.

Gab es in deiner Karriere Momente, in denen du dir sportpsychologische Betreuung gewünscht hättest?

Ja, die gab es. Ich habe zwei Jahre hintereinander länger pausieren müssen, durch eine Schulterverletzung. Gerade im zweiten Jahr war es schwer für mich, dass annehmen zu können und da hätte ich mir sportpsychologische Hilfe sehr gewünscht. Als ich verletzt war, war es ein schlimmer Schmerz für mich, meine „Familie“ auf dem Platz zu sehen und nicht helfen zu können. Schlimmer als der eigentliche Schmerz meiner Verletzung.

Sollte deiner Meinung nach die Sportpsychologie ein fester Bestandteil des American Football in Deutschland sein?

Meiner Meinung nach sollte die Sportpsychologie ein fester und vor allem ein geschätzter Teil im deutschen Football sein. Gerade für junge Spieler, die den Schritt von der Jugend in den Herrenbereich machen, wäre es eine große Hilfe, einem festen Ansprechpartner zu haben, der sie bei allen Sorgen und Nöten begleitet.

Miriam Kohlhaas

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