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Ralph-Goldschmidt - RGB

Ralph Goldschmidt

14. August 2018

Der einzige Mensch, der sich nach Veränderung sehnt, ist ein Baby in vollen Windeln

Ralph Goldschmidt im Interview zum Thema „Arbeit 4.0“

 

Speakers Excellence:
Herr Goldschmidt, ich hatte Sie bisher nicht als „Digitalisierungs-Experten“ auf dem Schirm, oder als Fachmann für agile Managementmethoden wie Scrum, Kanban, Design Thinking etc. Was hat Sie bewegt, einen Vortrag zum Thema Arbeit 4.0 zu erarbeiten?

Ralph Goldschmidt:
Sie haben haben recht. Als Experte für Digitalisierung – wenn es  darum geht, neue Betriebssysteme also z.B. Holakratie oder Soziokratie in Organisationen einzuführen – würde ich mich auch nicht bezeichnen. Mein Ansatz ist ein anderer. Einer, der aus der Praxis geboren ist. Denn in den letzten zwei Jahren wurde mir von immer mehr Unternehmern, Vorständen und Geschäftsführern immer wieder eine Frage gestellt. Sie lautete sinngemäß: „Herr Goldschmidt, haben Sie eine Idee, wie wir es schaffen können,  all die nötigen, teils unbequemen Veränderungen so an unsere Führungskräfte und Mitarbeiter heranzutragen, dass diese den (digitalen) Wandel aktiv gestalten, beherzt anpacken und sich gar dafür mitverantwortlich fühlen, statt darauf zu hoffen, dass „schon alles nicht so heiß gegessen wird, wie ́s gekocht wird?“ Dies ist tatsächlich die ausschlaggebende Frage. Denn die Antwort darauf entscheidet, wie Unternehmen, wie Mitarbeiter mit dem Thema Digitalisierung und den daraus folgenden Veränderungen umgehen und diese aktiv gestalten. Auf diese Fragen habe ich ein paar ganz hilfreiche Antworten und aus diesen Antworten ist mein neuer Vortrag entstanden.

Speakers Excellence:
Was bedeutet Arbeit 4.0 für Sie? Was ist Ihrer Meinung nach der Kern der Arbeit von morgen?

Ralph Goldschmidt:
Für mich geht es dabei um die Frage, wie Unternehmen es schaffen, der „VUKA-Welt“ zu begegnen bzw. diese zu gestalten. In einer Welt also, die zunehmend durch Volatilität, Ungewissheit, Komplexität und Ambiguität geprägt ist. Das Tempo und die Dynamik auf den Märkten ist enorm, die Produktlebensdauer immer kürzer, alles ist hochgradig vernetzt. Risiken sind für Entscheider immer weniger abschätzbar, ihre Eintrittswahrscheinlichkeiten kaum zu berechnen, ganz abgesehen von ungeahnten Wechselwirkungen, die auftreten können. In diesem ungewissen Umfeld müssen Unternehmen ihren ganz eigenen Weg finden. Und der ist nicht immer gleich – auch nicht immer gerade oder vorgezeichnet. Es braucht Mut, ihn zu gehen und berherzte Mitarbeiter auf allen Ebenen – an erster Stelle im Topmanagement – die ihre eigenen Widerstände und Ängste überwinden.

Speakers Excellence:
Was genau macht die Arbeit von morgen mit den einzelnen Mitarbeitern – von der Führungskraft bis zum Arbeiter am Fließband?

Ralph Goldschmidt:
Über all’ meinen Vorträgen schwebt mein Credo: „Nur wenn es dir gut geht, kannst du der Welt dein Bestes geben.“ Und die Erfahrung, die ich in ganz vielen Unternehmen mache, ist die, dass es den meisten Menschen mit der zunehmenden Dynamik und Komplexität der „VUKA-Welt“ immer weniger gut geht. Sie sehnen sich nach Sicherheit und Vorhersehbarkeit, und die gibt´s da kaum noch.

Anstehende Veränderungen lösen häufig Ängste und Widerstande aus. Die Überschrift über dem Interview kommt nicht von ungefähr. Oftmals wird schon heute die Geschwindigkeit des Wandels höher wahrgenommen als die eigene Lern- und Anpassungsgeschwindigkeit. Immer mehr Menschen haben das Gefühl, nicht mehr mitzukommen. Ständig dieser Druck, immer diese Hetze. Wir müssen immer schneller immer mehr machen und blicken immer weniger durch. Und was tun wir dann? Wir greifen auf Verhaltensweisen zurück, die früher mal erfolgreich waren, die ein Gefühl von Sicherheit versprechen, die aber heute kontraproduktiv sind. Die heute nicht mehr zum Ziel führen.

Speakers Excellence:
Herr Goldschmidt, Sie sagen, es kommt darauf an, den einzelnen Mitarbeitern „Lust auf Veränderung“ zu machen. Wie kann das gelingen?

Ralph Goldschmidt:
Die meisten Unternehmen sind noch organisiert wie vor 100 Jahren, nämlich sehr hierarchisch. Ganz nach dem Motto: „Oben wird gedacht, unten wird gemacht!“ In einem komplexen Umfeld funktioniert das aber nicht mehr. Die Berichtslinien laufen in einer linienförmigen Pyramide immer oben zusammen, und dort entstehen Engpässe. Dann werden Entscheidungen überhastet getroffen, hinausgezögert oder gar komplett ausgesetzt. Hinzu kommt, dass Führungskräfte Entscheidungen immer häufiger über Sachverhalte treffen müssen, von denen sie immer weniger Ahnung haben, weil die Kompetenzen immer öfter bei den Fachleuten sitzen und nicht bei den Chefs. Neulich hatte ich dazu ein kurzes Gespräch mit einem Azubi, der mir sagte: „Warum soll ich meinen Chef fragen, wenn ich einen kenne, der Ahnung hat.“ Das brachte es wunderbar auf den Punkt.

Hierarchien können mit Komplexität nicht umgehen. Wie auch. Wie soll ein „Entscheider“ alles Wissen in sich vereinen, um die „richtige“ Entscheidung zu treffen? Es gilt also, Kompetenzen, Verantwortung und Entscheidungen an Mitarbeiter abzugeben. Aber natürlich kann oder will nicht jeder Mitarbeiter diesen Weg der Selbstorganisation und Selbstverantwortung gleich sofort oder auf Knopfdruck mitgehen. Dabei ist Widerstand nicht das Problem. Meine Erfahrung ist da ganz eindeutig: Wo kein Widerstand da ist auch keine Veränderung. Wirkliche, echte Veränderung ist ohne den Widerstand und Angst nicht denkbar. Die Krux liegt darin, wie in Unternehmen damit umgegangen wird. Der Apell allein, Veränderungen als Chance zu begreifen, reicht hier nicht aus.  Denn Angst ist subjektiv. Und es ist völlig irrelevant, ob sie „berechtig“ ist oder nicht. Sie ist in dem Moment da und schafft für jeden Mitarbeiter – je aus seiner persönlichen Sicht heraus – unterschiedliche Realitäten. Jeder einzelne Mitarbeiter muss daher individuell und für sich selbst erkennen, dass die anstehende Veränderung keine persönliche Bedrohung darstellt. Erst dann ist es ihm möglich, die Chancen der Veränderungen zu sehen. Es ist also es ein wichtiger persönlicher Schritt, den eigenen Widerstand, die eigene Angst zu erkennen – wenn möglich gar darüber zu reden – und in einem letzten Schritt anzunehmen. Erst dann ist der Weg frei für Neues.

Speakers Excellence:
Ein Tipp zu Schluss: Was können Unternehmen jetzt tun? Wo können/sollten/müssten Sie heute beginnen? Und wie können Sie mit Ihren Vorträgen Unternehmen auf diesem Weg begleiten?

Ralph Goldschmidt:
Unternehmen und deren Mitarbeiter stehen in den nächsten Jahren vor einem schwierigen Balanceakt. Sie müssen sich zum einen immer schneller an eine immer komplexere und turbulentere Umwelt anpassen. Unternehmen wie Mitarbeiter. Sie müssen aber auch zum anderen zukünftig andere Konzepte entwickeln, um in den „agilen Mindsets“ erfolgreich zu agieren.

Führungskräfte müssen sich von alten Begrifflichkeiten und Handlungsweisen nach dem Motto „Command and Control“ verabschieden. Sie müssen loslassen und das ist nicht immer leicht. Sie müssen loslassen im Vertrauen darauf, dass ihre Mitarbeiter Verantwortung übernehmen. Und Mitarbeiter müssen diese neue Rolle annehmen. Je nach Alter wurden Führungskräfte wie Mitarbeiter über 10, 20, 30 Jahre im Unternehmen so sozialisiert, dass eben die Führungskräfte die Entscheidungen treffen und Verantwortung übernehmen und die Mitarbeiter das umsetzen, was oben entschieden wurde. Das hat ja meistens auch ganz ordentlich funktioniert. Und jetzt – ohne akuten Leidensdruck – sollen die Leute sich plötzlich diametral dazu verhalten? Das ist nicht so einfach. Dummerweise gibt´s da nicht einen Knopf, auf dem man drückt und plötzlich ist alles anders. Das alte Hierarchiedenken hat in vielen Unternehmen, die ich kennenlerne, zur Herausbildung einer krassen Misstrauenskultur geführt. Diese gilt es zu verwandeln in eine Vertrauenskultur. Denn Vertrauen reduziert Komplexität, wie der Soziologe Niklas Luhmann das schon vor einigen Jahren sehr treffend zusammenfasste. Es bedarf also eines neuen Selbstverständnisses von Führung. Von Kultur.

Dass heißt nicht, dass Führung ausgedient hat. Es heißt aber sehr wohl, dass sie sich neu definieren muss. Diese neue Art der Führung muss Mitarbeiter mitnehmen auf einem Weg, den sie erklären kann. Sie muss mit den Mitarbeitern gemeinsam definieren, wie alle diesen Weg gestalten wollen und sie muss sich dann aber auch raushalten, wenn es um die Umsetzung der getroffenen Entscheidungen geht. Ein echter Kulturwandel braucht Zeit, etwa drei bis fünf Jahre. Und er gelingt nur dann, wenn das Top-Management den Wandel wirklich will, vorlebt und „dranbleibt“, statt – wie ich es leider viel zu häufig erlebe – selbst nicht das erforderliche Maß an persönlicher Veränderungsbereitschaft mitbringt und insgeheim denkt: „Hey, ich hab´ nur noch 7 Jahre bis zur Rente. Das muss ich mir nicht mehr geben. Den Weg sollen andere gehen. Für mich reicht´s noch.“

Meine Vorträge sollen ein Impuls sein und Mut machen, sich gemeinsam auf diesen Weg zu begeben, quasi als „Kick-Off“.  Und mutig ist ja nicht der, der keine Angst hat, sondern der, der sich seinen Ängsten stellt und sich trotz seiner Ängste auf den Weg macht. Mit viel Vertrauen in sich und sein Umfeld und dem Wissen darum, dass dieser Weg in die Veränderung auch bedeutet, sie aktiv zu gestalten. Und so zu erfahren, dass es angenehmer ist, selbst zu verändern, als verändert zu werden. Auf diese neue Form der Gestaltung der Zukunft will ich Lust machen. Und das klappt bisher ziemlich gut (lacht).

 

Ralph Goldschmidt

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