Elektroautos gehört die Zukunft. Nur wann diese Zukunft genau beginnt, ist noch unklar. Tesla schwimmt dennoch auf einer Welle des Erfolgs – und zeigt so am besten, dass die Technik und der E-Hype auch Probleme mit sich bringen.
„Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.“ So brachte es Wilhelm Busch schon auf den Punkt. Was Friedrich Dürrenmatt, obwohl er nachweislich niemals in der strategischen Planung eines Automobilkonzerns tätig war, zu der Erkenntnis führte: „Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall treffen.“ Der Volksmund hat dafür die Lebensweisheit parat: „Der Mensch denkt und Gott lenkt!“
Und genau das scheint der deutschen Automobilindustrie, vor allem aber den glühenden Befürwortern von Elektroautos und erklärten Gegnern von solchen mit Verbrennungsmotoren, im Herbst 2017 zu widerfahren. Erst haben die Medien unter dem Eindruck des großen Papier-Erfolges von Elon Musk und seiner rein auf Batteriebasis betriebenen Elektroautos (BEV) der Marke Tesla jahrelang auf sie eingeprügelt – dass sie diese wichtige Zukunftstechnologie verschlafen hätten. So als ob es sinnvolle Alternativen zur Elektromobilität in Form sauberer Verbrennungsmotoren gar nicht gäbe.
Seriöse Erhebungen, wonach neben Toyota und Nissan gerade Daimler, BMW und Volkswagen sowie die großen Zulieferer Bosch und Continental die meisten Patente zur Elektromobilität halten, Tesla dagegen kaum welche, wurden nur kursorisch erwähnt. Das passte ja nicht zu den Vorurteilen! Dabei bauen die einen jährlich rund 16 Millionen Autos, Tesla brachte es 2016 mit großer Mühe auf etwa 70.000 Fahrzeuge. 2018 sollen es dagegen schon 500.000 werden, 2020 gar eine Million. Vom neuen Model 3 wurden statt 5000 lediglich 265 ausgeliefert. Größer als bei Musk können Wunsch und Wirklichkeit nicht auseinanderliegen.
Und dann geschah im August/September das Unerwartete. Gerade in dem Augenblick, wo die deutsche Automobilindustrie sich anschickte, auf der 67. IAA das Zeitalter der Elektromobilität auszurufen und eine Offensive für emissionsfreie Autos mit über 150 Modellen – noch nicht auf der Bühne, aber für die kommenden Jahre – starten wollte, brach in der Karibik und in den Südstaaten der USA die Wirbelsturmsaison los. Diesmal schlimmer und intensiver als bisher gewohnt. „Irma“, „Harvey“, Maria“ und „Nate“ brachtenTod und Verwüstung über viele bekannte Karibikinseln und die US-amerikanischen Südstaaten am Golf.
Die Bilder von der zerstörerischen Wucht dieser Urgewalten liefen über die TV-Sender der Welt. Zigtausende Menschen in den US-amerikanischen Südstaaten wurden aufgefordert, ins Landesinnere zu fliehen und sich in Sicherheit zu bringen. Endlose Autoschlangen und hoffnungslos verstopfte Highways beherrschten die Bildschirme.,
„Gone with the wind“
Noch schlimmer war der Schock, dass allein in Florida über sechs Millionen Bewohner ohne Strom auskommen mussten, sogar über Wochen. Und das im Hightech Land USA, das sich anschickt, mit autonom fahrenden Elektroautos aus Kalifornien die alte automobile Welt der Verbrennerautos in Angst und Schrecken zu versetzen.
Danach sieht es nach der abrupten Lahmlegung der US-amerikanischen Überland-Stromnetze aber erst einmal nicht aus. Im Gegenteil! Glücklich waren alle diejenigen, die die Flucht ins Landesinnere mit ihren vollgetankten Pick-Ups, zusätzlich mit Reservekanistern bestückt, nach Norden antreten konnten. Vorbei an all jenen Mitbürgern, deren Teslas oder sonstige E-Autos ohne Saft und ohne Chance auf – wenn überhaupt – rechtzeitige Aufladung am Wegesrand liegen geblieben sind.
Der nachfolgende Absatzboom im September an neuen Verbrenner-Pick-Ups als Ersatz für die vom Sturm zerstörten Autos spricht Bände über die Präferenzstruktur der sturmgebeutelten Erfahrungen der US-amerikanischen Neuwagenkäufer. Die Elektro-Illusion: „Gone with the wind!“
Und noch eine Erfahrung haben „Irma“ und Co. den US-Autofahrern eingebläut: Was im Süden die herbstlichen, tropischen Wirbelstürme mit der US-amerikanischen Stromversorgung anrichten, erledigen im Norden die winterlichen Blizzards. Das Ergebnis ist immer das Gleiche: Die Stromversorgung bricht zusammen, Elektroautos bleiben stehen – auch aus physikalischen Gründen.
Tesla „in der Produktionshölle“
Anders als bei Verbrennerautos ist jedenfalls in der Post-Wirbelsturmära von einem Absatzboom bei Tesla und Co. nichts zu bemerken. Im Gegenteil: Tesla-Gründer Musk kommt mit der Produktion seines vielgerühmten Model 3 nicht in die Gänge. Er befindet sich nach eigenem Eingeständnis gerade „in der Produktionshölle“. Was echte und altgediente Kenner der Materie nicht verwundert.
Mehr dagegen verwundert logisch denkende Zeitgenossen die Aussage von Musk, Tesla konzentriere sich nach dem verheerenden Wirbelsturm „Maria“ auf Puerto Rico nunmehr ganz auf die Produktion von Batterien für die notleidende Bevölkerung, um deren Stromversorgung in Gang zu setzen, statt auf die Produktion seines Model 3. So wie in Deutschland beim Aufkommen der Grünen in der 1980ern das Bonmot kursierte, Atomstrom sei überflüssig, der Strom komme aus der Steckdose, und eigene Autos ebenso, denn man fahre per Anhalter -, so kommt nach Musk also der Strom aus der Batterie. Wunderbare Welt!
Wenn viele das Gleiche tun
Aber noch eine Illusion im Hinblick auf die segensreiche Wirkung der Elektromobilität wurde im Herbst zerstört: dass sie ohne schädliche Nebenwirkung beliebig ausdehnbar sei. Was Makroökonomen von Anfang an beigebracht wird, ist das Paradoxon, dass wenn einer ein E-Auto fährt, das kein Problem darstellt. Sobald aber viele das Gleiche tun, erwachsen daraus neue Probleme.
Beispiel Oslo: Dank einer Vielzahl pekuniärer und nicht-pekuniärer Anreize haben sich Norwegen und Oslo zur globalen Musterknaben der Elektromobiliät entwickelt. Der Anteil der E-Autos am Fahrzeugbestand liegt in Landesdurchschnitt bei 30, in Oslo selbst bei fast 50 Prozent. Und plötzlich schreibt die „Süddeutsche Zeitung“: „In Norwegen ist das E-Auto zu beliebt!“ und der „Spiegel“ verkündete, Oslo sei mit seinem E-Auto-Boom überfordert.
Was war geschehen? Der norwegische Verband der Elektroautofahrer – so was gibt es wirklich – hat in einem dringenden Appell allen Neuwagen-Aspiranten geraten, sich nur dann ein (verbilligtes) E-Auto zu kaufen, wenn sie über einen eigenen Ladeplatz daheim oder bei der Arbeit verfügen. Es gebe zu wenige Ladestationen, der Ausbau komme den Neuzulassungen nicht hinterher.
Außerdem habe das Privileg von E-Autos, bei Staus die Busspur benutzen zu dürfen, dazu geführt, dass nunmehr dort ebenfalls Verkehrstaus entstünden und die Busse nicht mehr fahren könnten. Die Anspannung im Stadtverkehr sei dadurch größer, nicht kleiner geworden, weil nunmehr auch der öffentliche Nahverkehr keine Entlastung mehr brächte. All das war vorauszusehen.
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Erschienen auf www.ntv.de am 30. Oktober 2017
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