Das sind die Momente, die magischen Sekunden, die einem über Jahre und mit viel Glück bis ans Ende in Erinnerung bleiben. Es ist die erste Etappe des Ultra Africa Race in Mozambique. Ich könnte gerade ganz Afrika umarmen! So groß ist mein Glück, dass ich nach einem halben Jahr schon wieder die Möglichkeit habe hier zu laufen. So groß muss es auch sein – das Glück – Afrika ist schließlich riesig. An einer leichten Steigung kommt mir eine junge Frau entgegen. Ich grüße auf portugiesisch: „Bom dia!“ und sie freundlich zurück „Bom dia!“. Erst lächelt sie, dann schaut sie mich mit meiner Laufausrüstung nochmal genauer an, dann lacht sie über das ganze Gesicht Eine Woche voller Highlights und eins meiner schönsten und wichtigsten Rennen. Das steht oft zu Beginn eines Berichtes – bei mir – bei anderen. Erklärung dazu später. Die Begrüßung in Mozambique ist herzlichst. Die Hälfte der Läufer und Crew kenne ich bereits vom Ultra Africa Race in Kamerun oder vom legendären 520km Rennen „The Track“ in Australien. Große Freude auch Jérôme Lollier wiederzusehen. Er ist Veranstalter dieser Rennen mit seiner Agentur Canal Aventure. Eine exquisite kleine französische Agentur, die vier bis fünf Etappenrennen pro Jahr auf der Welt veranstaltet. Die Rennen haben meist um die 20 Teilnehmer und das führt immer dazu, dass sich ganz schnell ein ganz besonderer Spirit im Team und Rennen zeigt. Das halte ich vor allem Jérôme zu Gute, dass das genau sein ausgesprochenes Ziel ist. Er will klein bleiben und will diese kleinen besonderen Abenteuerläufe machen. Deshalb auch Mozambique! Dort gab es noch nie ein vergleichbares Rennen und wer war schon mal in Mozambique? Ein immer noch sehr afrikanisches Land mit kaum Tourismus.
Check in und Kontrolle ist in einer wunderschönen Lodge an einem See. Wir wohnen in Bambushütten mit riesigen Strohdächern. Der See ruft nach mir und da das einzige dort lebende Krokodil vor ein paar Monaten erschossen wurde, stand dem nichts im Wege. Es hatte einen Lederfußball gefressen und musste daher sehr leiden. Der Ball war bei der Obduktion sehr deutlich im Bauch des Tieres zu sehen.
Beim Check in werden Pflichtausrüstung und Menge des Essens kontrolliert. Zweitausend Kalorien sind pro Tag vorgeschrieben – das funktioniert auch. Wir haben alles im Rucksack. Wir laufen in Selbstversorgung und Canal Aventure stellt 2er Zelte und die Wasserversorgung an Checkpoints sowie im Lager bei Ankunft. Die Etappen starten früh morgens im Camp und nach jeweils 37/37/51/47/47 Kilometern pro Tag sind wir im Ziel. Feuer, Kochen, Schlafsäcke etc. – alles unser Job.
Aus meinem Little Desert Runners Club war Andrea Löw mit am Start. Wir hatten eine wunderbare Zeit im Mai beim Rennen in Namibia, als mich 15 Läufer (fast alles Etappenlaufanfänger) bei meinem 10jährigen Wüstenlaufjubiläum begleiteten. Andrea hatte ihre Premiere sauber mit Platz 6 bei den Frauen abgeliefert und jetzt wär ich ja nicht ich, wenn ich ihr im Vorfeld nicht erklärt hätte, dass da noch viel geht. So hockten wir am Abend vor dem Start in unserer Bambushütte auf den Betten und sprachen genau über das Thema: Was geht – mit welcher Taktik. Um es abzukürzen: zu diesem Zeitpunkt gab es eine Favoritin im Rennen – Ita Marzotto aus Italien. Sie hat schon einige Rennen gewonnen. Ich bin schon mit ihr gelaufen und weiß wie stark sie ist. Allerdings hatte sie 3 Wochen vorher erst ein Rennen in der Atacama Wüste und davor war sie beim Tor des Geants gestartet – beides sehr lange schwere Rennen. Meiner Meinung nach musste sie eigentlich müde sein. Am Ende standen unsere Überlegungen im Raum: hinter Ita herlaufen und schauen ob sie einbricht oder von der ersten Minute des Rennens angreifen. Die Entscheidung lag bei Andrea.
Als wir am nächsten Morgen starten ist Andrea nach ca. 10 Minuten auf meiner Höhe angekommen.
Sie hatte sich nachts für die Oliver Kahn‘sche: „Wir brauchen Eier“ Strategie entschieden. Für diesen Fall hatte ich für mich vorher schon beschlossen, dass ich den Weg mit ihr gehen werde. Nachdem mein Jubiläumsjahr auch das Jahr des begleitenden Laufens war in Namibia, mit Philipp Jordan vom Fat Boys Run Podcast zu Beginn seines Home2Home Runs von Holland nach Deutschland oder mit meiner Frau bei ihrem 75km Nachtlauf rund um Köln… sollte Ultra Africa Race eigentlich mein eigenes Rennen werden, aber die Entscheidung Andrea bei ihrem mutigen Angriff zu begleiten, gefiel mir besser.
Kenne so viele Menschen, die irgendwas gerne wollen – es zu machen, finde ich dagegen schon mega smart.
Los geht’s! Nach Querung der Dünen geht es bei Ebbe über 20km entlang des Indischen Ozeans. Andrea und ich sammeln Kilometer und auch den ein oder anderen Schnellstarter ein. Das Tempo ist hoch und Oli Kahn zollt aus der Ferne Anerkennung.
Vom Strand geht es ins Landesinnere. Wir laufen auf Singletrails und Jeeptracks bergan und bergab durch den Busch. Viele Palmen und die Kokosnüsse zeigen uns den Weg. Es ist jetzt heiß und die Luft steht. Das ist bei über 30° Celsius und hoher Luftfeuchtigkeit kein Spaß. Wir nehmen Tempo raus – ich weiß aber, dass die anderen hier auch langsamer machen müssen. Andrea läuft einen 10minütigen Vorsprung raus und auf Platz 1. Gefolgt von der überraschend starken Stephanie Bales aus Kanada und Ita.
Andrea war für einen ersten Tag an ihrem guten Limit unterwegs gewesen und ich hatte die Vermutung, dass die Idee mit Ita und ihrer Müdigkeit stimmt. Allerdings mit Ita muss man immer rechnen – nicht umsonst ist sie Gewinnerin einiger großen Rennen gewesen.
Auch der zweite Tag steht mit 37km im Roadbook – allerdings haben wir nicht mehr die schnellen 20km nassen Strand sondern nur Hügel im Landesinneren vor uns. Hier zeigt uns Ita von Anfang an wo es langgeht. In der Hitze und bei den vielen Hügeln können wir ihr nicht folgen und auch Stephanie zieht irgendwann vorbei. Andreas und mein Tempo werden immer unterschiedlicher und bei Kilometer 28 gibt es eine Entscheidung. Wir besprechen es gar nicht. Das hatten wir vorher schon geklärt. Es geht einfach klar. Wir sind Freunde, wir hatten einen Plan. Einen Plan oder eine Taktik zu haben, finde ich ungemein wichtig für solche Rennen. Noch viel wichtiger finde ich allerdings die persönliche Flexibilität ohne Groll einen Plan, der nicht mehr funktioniert, in die Tonne zu kloppen. Es kommt ein neuer Plan…nicht zweiter Klasse , sondern einer, der genauso gut ist auf der Basis der aktuellen Tatsachen.
Ich mach mich auf den Weg und sammele Stephanie und Ita wieder ein rücke dem Kollegen Stewen Villenave auf den Pelz, der aktuell vor mir auf Platz 4 liegt. So ernst ich das gemeint habe, Andrea zu begleiten so ernst ist das jetzt mit dem Rennen – im klassischen Sinn.
Der aktuelle Stand ist am Ende von Etappe 2, dass mein all-time Heroe Marco Olmo auf Platz 1 liegt. Gefolgt von Julen Urdurbai und Takao Kitada. Die drei hatte ich auch vorab aufs Podium gesetzt in meinen internen Wetten. Takao ist ein junger Läufer aus Japan. Ich war mit ihm in Australien und habe gesehen, wie er sich die beiden letzten Jahre entwickelt hat. Julen ist mit seinen 43 Jahren ein extrem guter Läufer, der schon Top3 Platzierungen in Stage-Races erzielt hat. Und dann gibt es noch Marco Olmo. Ein Held. Marco wird dieses Rennen am Ende gewinnen – mit 69 Jahren.
Marco habe ich vor 10 Jahren beim Marathon des Sables kennengelernt. Ich hatte keine Ahnung von nichts – war aber von dem Kerl ungeheuer beeindruckt. Ich kannte keine Läufer, keine Weltmeisterschaften, keine Ergebnislisten. Erst später wurde mir klar, dass er zu dieser Zeit beim UTMB Weltmeister im Traillaufen wurde. Dies sogar zweimal hintereinander und das im Alter von 58 und 59 Jahren. Nein ich spreche nicht von der Altersklasse. Weltmeister!
Ich hatte mich mit Marco letzten Winter in Italien getroffen. Ich wollte ihn unbedingt im Buch „Passion Laufen“ dabei haben, da er für mich genau das ist – große Leidenschaft. Wir hatten einen wunderbaren Tag mit ebensolchen Themen in Italien. Als ich hörte, dass er zum Ultra Africa Race kommt, war ich dementsprechend aus dem Häus‘chen. Nach 10 Jahren die Chance mit dem „Meister“ zu laufen. Daraus wurde leider nichts. Eine Lungenentzündung ein paar Wochen vor dem Rennen machte den Gedanken zunichte und ich musste fast ohne Training nach Mozambique reisen. Jetzt bin ich alt genug, um damit umgehen zu können, wenn andere schneller laufen können als ich. Wär ja auch zu blöd, wenn ich mich damit nicht anfreunden könnte. Rechnen kann ich auch! Wer nicht trainiert hat, wird im Rennen langsamer laufen. Alles gut – nur blöd.
Ich nehme mir an Tag 3 einfach Andrea zum Vorbild. Es liegen schicke 51km vor uns. Der Start ist schon um sieben und ich nehme mir das Thema zu Herzen. Es wird ein sehr spaßiger Tag. Es gibt so Tage – es sind nicht so viele – aber da reißt man schon mal Bäume aus und umarmt die Welt. Es ist wieder sehr warm. Ich kann dann auch nicht schneller laufen, aber ich lauf auch nicht viel langsamer. Bin ja eh nicht so schnell wie die Jungen. Die haben an dem Tag aber gut zu kämpfen. Mein Plan das Tempo von Anfang an hoch zu halten, um die anderen zu erschrecken, funktioniert. Bei Checkpoint 1 bin ich dicht hinter Marco und die anderen folgen erst im Minutenabstand. Glück ist, dass wir eine sehr lange schnelle glatte Piste aus Sand bekommen auf der man mit Druck viel Tempo erreichen kann. Der Abstand wächst und die Kollegen sind irgendwann nicht mehr zu sehen. Ich komme an einer Schule vorbei. Dort ist gerade Pause und 50 kleine Kinder umringen mich und ich muss einfach stoppen. Wir hopsen wie Guildo Horn auf der Stelle umher und lachen uns kaputt. Das japanischen Fernsehen, das Takao begleitet ist ganz wild am Filmen und schwer begeistert. Die Kinder auch – wunderbare Moment.
Von der Schule aus begleiten mich später an einem nicht enden wollenden Berg einige Jugendliche. Allen voran eine ca. 16 Jährige in Flip Flops die jedes Tempo, das sich gehe bzw. laufe, mitmacht. Ein großer Spaß. Sie fordert jeden entlang des Weges auf mitzukommen und bald sind wir eine lustige Truppe von 9 Halbstarken plus mir dreiviertelstarkem. Was die junge Frau in Flip Flops an Trails laufen kann…und wirführen endlose Diskussionen über den optimalen Trailschuh. Nun ja. Die Kids biegen ab und ich bin ein wenig traurig. Aber „surprise surprise“ nach 5 Minuten sind sie wieder da und meine Flip Flop Königin hat eine eisgefrorene große Cola Flasche für mich. Ich halte sie beim Laufen an Stirn, Schläfe, Hals und dann Trick 17 von Madame: Einfach mit dem Kugelschreiber ein Loch in die Plastikflasche gehauen. Durch den hohen Druck vom Eis kommt ein Sprühfondäne aus der Eisflasche – fein wie ein Zerstäuber. Den kalten Strahl halte ich mir ins Gesicht auf die Haare. Genial. Leute ich habe manchmal ein Glück in meinem Leben. Gedanklich umarme ich meine Kleine ganz innig für diese Idee und noch viel mehr für ihre Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft. Wir verabschieden uns irgendwann.
Auf den Geschmack gekommen, stoppe ich am nächsten Kiosk und kauf mir eine Cola. Eine alte Afrikataktik von mir: Geld eingesteckt haben und schnell zuschlagen. Schnell kann der Kioskbesitzernicht…aber auch egal. Ich hatte das 2012 beim Ultra Africa Race in Kamerun mal eingeführt und mittlerweile ist es bei Canal Aventure auch erlaubt, sich zwischendurch was zu holen, wenn die Möglichkeit besteht. Wir wollen ja alle auch den Kontakt mit den Menschen – und wir wollen natürlich! das eiskalte Getränk. Bei Kilometer 40 ist der letzte Checkpoint an einem See. Ich nutze die Chance und schmeiß den Rucksack in den Sand und geh in voller Montur baden. Ist mir auch egal, dass das ein paar Minuten dauert. Die anderen sind nicht in Sicht und Rennen ist nicht alles. Sachen packen und weiter bis ins Ziel bei Km51. Als ich nach Marco ins Ziel komme, gibt es ein „Complimenti“ vom Maestro für meine heutige Lauferei. Hatte ich schon erwähnt, dass es ein sehr schöner Tag war?
Wir haben wieder eine lauschige Nacht in unserem Minizelt. Andrea geht es gut. Sie macht weiterhin ein Superrennen und kommt jeweils auf Platz 3 bei den Frauen rein. Das Ende der Nacht ist nicht ganz so lauschig. Es fängt an zu regnen und hört auch leider nicht mehr auf. Kacke! Nix für mich, weil bei 18 Grad und Dauerregen die anderen wieder so schnell laufen können. Nach dem Highlight von Platz 2 am Vortag geht mir das etwas auf die Nerven. Wir laufen im 5er Trupp als der Regen mein Handy für immer tötet. Ich bin sauer. Erstens weil ich blöd bin; zweitens weil ich von nun an ohne Musik bin. Meine Playlisten sind mir heilig und ich höre sie auch nur bei meinen großen Rennen. Nun ja ! Geht auch ohne, aber ich bin genervt und werde auch nur Vierter an dem Tag. Schwamm drüber.
Immer noch auf Platz 5 liegend, weil der Abstand zur Spitze nach den ersten beiden Tagen etwas groß war, heißt es für die letzte Etappe: Rennpferd oder was? Bist du ein Laufgut? Keine Ahnung wo ich den Begriff herhabe. Bisschen viel Flow gehabt? Ich bin jetzt halt ein Laufgut.
Erstmal 20 Kilometer durch die mosambik‘sche Walachei bis wir wieder am Indischen Ozean sind und dann zügige 27 Kilometer am idyllischen schnellen nassen Strand lang Richtung Ziel. Ich nehm das Ernst und lauf mit Marco und Julen gemeinsam bis zum letzten Checkpoint. Das Tempo war schon Knaller und am Ende und nach 200 Kilometern das Schnellste der Woche. Ich bin mir sicher, dass die ca. 15min die mir zum Viertplatzierten fehlen nun eingefahren sind und lasse Julen und Marco ein wenig ziehen. Ich genieße die letzten beiden Stunden für mich allein.
Wie Anfangs erwähnt: ein für mich ganz wichtiges Rennen geht zu Ende. Bekanntermaßen habe ich längere, härtere und dramatischere Läufe gehabt. Bei 56°C im Iran, die 520km Distanz in Australien, Thrombosebehandlungen bei drohender Embolie im Lazarett in Libyen. Hier war es anders. Nach 14 Jahren Laufen hatte sich bei mir nach dem Little Desert Runners Club und dem Rennen in Namibia im Mai das erste Mal eine schwere Sinnkrise zum Thema Laufen breit gemacht. Richtig schlimm. Es war nicht die Lungenentzündung und die damit gestorbenen Möglichkeit Marco im Rennen zu folgen. Es war viel tiefer. Wir haben viel zuhause darüber gesprochen, wo sonst das Thema Laufen eigentlich gar kein großes Gesprächsthema ist – wir machen es einfach. Ich hatte Sorge, dass nach den Jahren mein Laufen mir verloren geht. Ich kenne Läufer, denen genau das passiert ist. Keine Verletzung sondern einfach „müde“ des Laufens geworden.
Ich komme als Dritter an die Ziellinie am letzten Tag und viel wichtiger: ick hab wieder Spasssss am Laufen gefunden. Der Weg dahin war was lang und wir ersparen uns Details.
Am Morgen nach dem Rennen schnapp ich mir um kurz nach Vier die Schuhe und mache mich auf den Weg. Unser Ziel und unsere Hütten sind in der schönsten Bucht der Welt. Dort wird der feine Herr Fuchsgruber wohl sein nächstes Buch schreiben. Brauch nur noch nen Vorschuss vom Verlag.
Ich laufe los. In dieser Traumbucht in einen traumhaften Sonnenaufgang am Indischen Ozean. Es schlagen zwei Herzen in meiner Brust (grins) – wie immer Rosamunde Pilcher und Charles Bukowski. Rosamunde schreibt: „ Nachdem er sich und seine Liebe zum Laufen wiedergefunden hat, läuft er in den kraftvollen Sonnenuntergang, der ihm einen neuen „guten Tag“ zu wünschen scheint“ Charles Bukowski schreibt: „ Wie ?? schon wieder hell?“. Ich kann mich immer noch nicht entscheiden und das bleibt auch so.
Ich bin auf dem Rückweg. Der Flieger ist im Anflug auf Frankfurt – alles dunkel. Eine kleine Träne, aber keiner kann‘s sehen. Ich bin froh und ich bin gerne froh. Ich denke an unsere Tochter Mara – die größte Kämpferin von uns allen. Es ist November! Gedanken und Wünsche für alle…besonders die in Krisen. Krisen gehen vorbei! Hab es gerade erlebt. Cheers!