Employer-Expertin Prof. Dr. Jutta Rump spricht im Interview mit uns über ihre Vision der Arbeitswelt der Zukunft. Erfahre, warum sich Arbeitsmodelle lohnen, die sich an den Lebensphasen der Mitarbeiter orientieren und warum sich jeder Arbeitnehmer selbst seiner Leistungsfähigkeit bewusst werden sollte.
Yvonne: Vor ungefähr zwei Jahren bin ich in das Berufsleben eingestiegen. Wenn ich meinen Eltern von Hunden, Limos und Sofas im Büro erzähle, dann wundern sie sich. Die Arbeitswelt hat sich sehr verändert, aber ich frage mich: Wie wird mein Arbeitszeitmodell in fünf, zehn oder 20 Jahren aussehen? Was wäre Ihre Vorstellung?
Prof. Dr. Jutta Rump: Also, ich würde mir für Sie wünschen, dass Sie ein Lebensphasen-orientiertes Arbeitszeitmodell haben, welches je nach ihren aktuellen beruflichen Zielen und ihrer privaten Situation gestaltet wird. So können Sie beides – die berufliche und die private Seite – in Balance halten, auch unter Berücksichtigung der Verlängerung der Lebensarbeitszeit. 67 Jahre werden es in jedem Fall und ich würde mir wünschen, dass Sie das durch diese Balance schaffen und beides miteinander vereinbaren können. Es wäre schön, wenn Sie dann am Ende sagen: Ich brenne nicht aus, sondern ich brenne noch für das, was ich tue.
Yvonne: Das heißt dann also ganz konkret: Wenn ich beispielsweise gerade in der Phase der Familiengründung bin, habe ich mehr Zeit im privaten Umfeld und arbeite weniger. Wenn die Kinder dann mal aus dem Haus sind, arbeite ich wieder mehr.
Ja, zum Beispiel! Man könnte auch über die Entwicklung eines Lebensarbeitszeitkontos nachdenken. Das bedeutet, dass Sie in Zeiten, in denen Sie viel im Büro sind, stark beruflich fokussiert sind und etwas erreichen wollen, auf dieses Konto einzahlen und etwas ansparen. Wenn sich dann ihre Situation ändert, Sie beispielsweise Kinder bekommen, sich einfach mal eine Auszeit nehmen wollen, ihre Eltern krank werden, Sie sich privat weiterbilden wollen, dann würden Sie dieses Konto nutzen. Das Tolle wäre dann, dass ihr Gehalt darunter nicht leidet. Das wäre super!
Jannis: Klingt gut, aber müsste man dann nicht immer bei dem gleichen Arbeitgeber bleiben?
Das Tolle bei diesen Konten wäre, dass die Arbeitszeit in Geld umgewandelt wird. Wenn Sie den Arbeitgeber wechseln, dann nehmen Sie das Konto mit. Wenn der neue Arbeitgeber das gleiche System hat, können Sie da unmittelbar anschließen. Hat der neue Arbeitgeber das System nicht, dann lassen Sie sich das angesparte Geld auszahlen. Das wäre eine tolle Lösung! Eine Alternative wäre, dass Sie versuchen mit Ihrem Arbeitgeber zu sprechen: Sie könnten sagen, dass es Zeiten gibt, in denen Sie Ihre Arbeitszeit flexibilisieren möchten. Man könnte dann beispielsweise Anfangs- und Endzeiten anpassen. Vielleicht gibt es aber auch Situationen, in denen Sie Ihre Arbeitszeit reduzieren möchten. Darauf haben Sie ein Recht auf Basis des Teilzeitgesetzes. Wenn sich die Situation ändert und Sie gerne wieder aufstocken möchten, können Sie das auch machen – das ist aber nicht gesetzlich geregelt, so dass Sie das mit Ihrem Arbeitgeber im Vorfeld besprechen sollten. Das wäre unser Wunsch für die Zukunft: Je nach Situation funktioniert die Arbeitszeit wie ein atmendes System, das sich Ihren Bedürfnissen anpasst.
Yvonne: Es gibt schon seit längerer Zeit die Diskussion, ob es noch heißen sollte: Work-Life-Balance? Oder ist vielleicht die Arbeit eher Teil des Lebens? Was ist da Ihre Meinung?
Ich tue mich mit dem Begriff Work-Life-Balance schwer. Ich finde das „Work“ ein Teil des „Life“ ist. Es ist einfach ein gängiger Begriff, aber ich denke, dass es mehr darum geht, eine Balance zwischen unterschiedlichen Lebensbereichen zu finden. Manche sprechen schon von dem Begriff „Life-Balance“: Es geht um mein Leben und da gibt es viele verschiedene Stationen und Bereiche, die es gilt auszubalancieren. Daher finde ich den Begriff „Life-Balance“ passender.
Yvonne: Sehen Sie in dieser “Life-Balance” auch Gefahren?
Ja, das ist so. Wir sehen eine Entgrenzung von Arbeit in Freizeit. Das ist ein ganz eindeutiger Trend. Wenn ich ganz ehrlich sein darf: Im Prinzip muss es nicht heißen ´Entgrenzung von Arbeit in Freizeit´, sondern es muss eigentlich fairerweise heißen ´Entgrenzung von Arbeit und Freizeit´. Also, es gibt Situationen, da nehme ich meine Arbeit mit in die Freizeit. Im Gegenzug muss es dann aber möglich sein, mein Privatleben mit in die Arbeit zunehmen. Das würde eher einem Balancekonzept entsprechen. Das würde einem professionellen Führungs- und Personalmanagement näher kommen. Alles Andere führt dazu, dass ich Sie auspresse wie eine Zitrone. Das wollen Sie nicht und wenn ich ein cleverer Arbeitgeber bin, dann würde ich das auch nicht wollen. Wenn ich ein attraktiver Arbeitgeber sein will, dann muss ich Entgrenzung von Arbeit UND Freizeit ermöglichen.
Yvonne: Wenn wir die geschilderten Arbeitszeitmodelle umsetzen, Entgrenzung von Arbeit und Freizeit zulassen: Worin liegen Ihrer Meinung nach die Chancen?
Die Chancen sind immens! Ich bekomme dann Mitarbeiter, die sich für mich als Arbeitgeber commiten und sich mit dem Unternehmen und der Arbeit identifizieren. Und die ein klares Commitment für die Kultur und die Werte des Unternehmens abgeben. Ich zahle auf das Konto von Wohlbefinden und Gesundheit meiner Mitarbeiter ein. Der Begriff Employability oder Beschäftigungsfähigkeit wird dann ganz klar bespielt. Wenn wir uns fragen: Was ist ein ganz klarer Erfolgsfaktor für ein Unternehmen? Dann sind das motivierte, gesunde und kompetente Mitarbeiter.
Für den Mitarbeiter selbst, ist das auch eine ganz zentrale Frage. Haben Sie mal ausgerechnet, was Sie rein ökonomisch Wert sind? Bei einem durchschnittlichen Bruttojahreseinkommen von 38.000 € und einer Lebensarbeitszeit von 45 (!) Jahren ergibt sich eine Summe von 1,7 Millionen Euro. Das ist der größte Vermögenswert, den die meisten Menschen haben. Und genau hier sollte sich jeder die Frage stellen, wie er mit diesem zentralen Vermögenswert, also seiner eigenen Fähigkeit für eine dauerhafte Beschäftigung umgeht? Das was Sie wirklich haben, ist das, was Sie ausmacht: Das zwischen Ihren beiden Ohren und vom Scheitel bis zur Sohle. Jeder muss sich klarmachen, was das wert ist und sich nicht auf Unternehmen verlassen, die einem sowieso kein dauerhaften Beschäftigungsverhältnis mehr bieten können. Damit kommen wi r nicht nur zu einer Arbeitgeberverantwortung, sondern auch zu einer Eigenverantwortung. Ich glaube, wir alle sind in Zukunft Unternehmer in eigener Sache. Damit kann man nicht früh genug anfangen, denn das ist ein Mindset!
Jannis: Wenn ich jetzt mal frech sein darf: Das ist doch alles ein bisschen durch die Arbeitnehmer-Wunschbrille argumentiert. Würden Arbeitgeber da gleich mit auf den Zug aufspringen?
Clevere Arbeitgeber pflegen den Haupterfolgsfaktor, den sie haben. Und gucken wir uns doch mal an, was wir häufig für Beschäftigungsverhältnisse haben: von Wissensarbeitern oder auch Menschen im produzierenden Bereich, aber alle haben eine qualifizierte Berufsausbildung. Das heißt, das was wir an Arbeit heute anbieten oder auch in Zukunft anbieten werden, ist immer bestückt mit Menschen, in die ich auch investieren muss.
Und dann frage ich mich: Wie professionell gehe ich mit dieser Investition um? Denn das ist nicht nur eine Maschine, die ich in die Ecke stellen kann. Es ist nichts, über das ich mit meiner Bank sprechen muss. Sondern es geht um einen Menschen.
Dieser Mensch hat Wahlmöglichkeiten. Und wenn dieser Mensch eine Fachkraft ist, die gerade auf einem Mangel-Markt unterwegs ist, dann geht es darum, wie ich diesen Erfolgsfaktor professionell manage. Wie schaffe ich es, dass diese Person, in die ich investiert habe, die ich ausgebildet habe, bei mir bleibt und zwar mit einer hohen Motivation, einer hohen Produktivität und einem hohen Commitment?
Jannis: Das war ja vor 10 Jahren nicht anders. Auch da hatte man als Arbeitgeber nicht die grenzenlose Auswahl. Das hat sich meiner Einschätzung nach auch nicht extrem, sondern nur ein bisschen verschärft. Es gibt Berufs-Segmente, in denen man noch viele qualifizierte Mitarbeiter findet. In anderen Segmenten sieht das aber anders aus.
Ja, hier muss man unterscheiden: In welchem Arbeitsmarktsegment bewegen wir uns? Bewegen wir uns durch Fachkräfteengpässe? Dann sind die Unternehmen auch deutlich beweglicher. Machen wir uns nichts vor: Warum entdecken Unternehmen plötzlich dieses Thema? Und warum investieren sie plötzlich in einer ganz anderen Form in das Personalmanagement? Oder haben auf einmal innovative Konzepte und ein offenes Ohr für die Mitarbeiter? Warum tun sie das? Ich glaube – und jetzt bin ich ganz provokant – das liegt an exogenen Faktoren, die dazu führen, dass ich das tun muss. Sonst habe ich massive Probleme auf meinem Markt, weil mein Geschäftsmodell an die existenzielle Grenze kommt.
Ich glaube, es gibt einen oder mehrere exogene Faktoren, die dazu führen, dass Unternehmen veränderungsbereit werden. Und wenn dieser exogene Faktor nicht da ist, warum soll ich dann mein Modell ändern?
Und ich glaube, dann müssen wir mal die rosarote Brille ablegen und Tacheles reden: Immer wenn das Thema Fachkräftemangel da ist und ein Trend mich massiv beeinflusst, dann denke ich über meine alten Muster nach und mache mich auf zu neuen Ufern. Denn ich weiß: Wenn ich das nicht mache, dann kann das massive, negative Konsequenzen haben.
Jannis: Es ist auch dieses Spannungsfeld: Meine Mitarbeiter denken in Langfristigkeit, aber haben kein Problem damit, einfach zu gehen. Sie wollen aber eine Perspektive haben, sich weiterentwickeln. Auf der anderen Seite habe ich jemanden, der sein Reporting für diesen Monat abgeben muss und der sieht, dass er zuviel auf der Uhr hat.
Fakt ist: Dann muss ich das Steuerungssystem anpassen. Wenn wir darin übereinstimmen, dass wir das eigentlich brauchen, aber das Reporting oder die Kennzahlen eindimensional ausgerichtet sind, dann müssen wir über die Steuerungsinstrumente und das Cockpit eines Unternehmens reden.