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Sven Voelpel

13. Dezember 2017

„Unsere Einstellung bestimmt, wie alt wir sind“

Dem BWL-Professor Sven Voelpel zufolge hat das Alter in Deutschland ein Imageproblem. Das hat negative Folgen – sowohl für den Einzelnen als auch für Unternehmen.

Sven Voelpel beschäftigt sich an der Jacobs University Bremen mit dem demografischen Wandel und den Auswirkungen auf Unternehmen und Gesellschaft. Gerade ist sein Buch „Entscheide selbst, wie alt du bist – Was die Forschung über das Jungbleiben weiß“ erschienen, die erste Auflage war nach wenigen Tagen ausverkauft. In dem Buch fordert der BWL-Professor, das vorherrschende Bild vom Alter zu revidieren. Gleichzeitig gibt er Tipps für ein gelassenes Älterwerden und erklärt, welche Fehler Firmen im Umgang mit älteren Mitarbeitern machen.

SZ.de: Deutschland wird immer älter – mit großen Auswirkungen für das Renten- und Gesundheitssystem, aber auch für die Unternehmen, die Politik, die Gesellschaft und letztlich jeden Einzelnen. Warum beschäftigen wir uns trotzdem so ungern mit dem Thema Alter?

Sven Voelpel: Weil Alter vor allem als eines betrachtet wird: als Defizit. Im Alter geht es abwärts, so die gängige Meinung. Wenn wir an alte Menschen denken, dann denken wir an Demenz, Pflegeheime, Krückstock.

Ab einem gewissen Zeitpunkt baut der Körper doch aber tatsächlich ab.

Die grausame Wahrheit: Das stimmt. Nierenfunktion, Lungenvolumen, Nervenleitgeschwindigkeit, Muskelstärke – das alles wird etwa ab dem 40. Lebensjahr kontinuierlich weniger. Auch das Hirn wird löchriger, die sozialen Kontakte werden seltener. Die gute Nachricht: Dem sind wir nicht machtlos ausgeliefert. Es gibt tatsächlich viele Einflussfaktoren, die sich auf das Altern auswirken. Der Mensch verfügt über eine erstaunliche Plastizität.

Das bedeutet so viel wie „Wandlungsfähigkeit“.

Genau. Meine Lieblings-Studie zu dem Thema befasst sich mit dem Händedruck. Forscher haben gemessen, wie fest die Leute zudrücken können. Schaut man sich das über die verschiedenen Altersgruppen hinweg an, erkennt man wie erwartet eine umgekehrte U-Kurve. Das eigentlich Interessante ist, wie sich diese Kurve zusammensetzt. Das sind Tausende einzelne Punkte, die aber total verstreut sind. Da gibt es den 24-Jährigen, der nur auf 18 Kilo kommt, aber auch den 64-Jährigen, der zupacken kann und 54 Kilo drückt. Wie fit wir im Laufe unseres Lebens sind, ist also sehr individuell.

Das lässt sich durch Training beeinflussen?

Tatsächlich hat körperliche Aktivität sogar einen Einfluss auf das Denkvermögen. Wir haben bei uns an der Jacobs University eine Studie durchgeführt. Eine Gruppe älterer Personen hat sich drei Mal die Woche zum Walking getroffen – bei denen hat sich in Intelligenztests kontinuierlich die Reaktionsfähigkeit erhöht. Eine weitere Gruppe hat die Koordinationsfähigkeit beim Tai-Chi trainiert. Das hatte eine erhöhte Antwortpräzision zur Folge. Die Art der physischen Intervention hat also sogar Einfluss auf die Art, wie wir denken.

Generell unterscheidet die Psychologie zwei Arten von Intelligenz: Die fluide Intelligenz, also die Fähigkeit Neues zu lernen. Und die kristalline Intelligenz, das Erfahrungswissen. Können Sie erläutern, wie sich beides mit zunehmendem Alter verändert?

Die fluide Intelligenz erreicht mit etwa 25 Jahren ihren Höhepunkt und fällt dann ab. Wer sich allerdings immer wieder mit neuen Themen beschäftigt, zum Beispiel eine Sprache oder neue Computer-Programme lernt, kann dies aber etwas nach hinten verschieben. Die kristalline Intelligenz hingegen steigt bis etwa 55, kann aber auch erst mit 75 oder sogar 90 Jahren den Peak erreichen. Das ist die Fähigkeit, Informationen mit bestehendem Wissen zu verknüpfen. Deshalb sind Führungskräfte oder auch Politiker oft älter, denen kommt dieses Erfahrungswissen zugute.

Im Normalfall gehen wir aber mit 65 oder spätestens 67 Jahren in Rente.

Völlig paradox, wenn man sich anschaut, dass der älteste Marathonläufer 101 Jahre alt ist. Es gibt Lehrer, sogar Nobelpreisträger, die geklagt haben, weil sie länger arbeiten wollten. Das durften sie aber nicht, weil es halt so geregelt ist.

Was ist denn so schlimm am Ruhestand?

Daran muss gar nichts schlimm sein. Für viele ist die Pensionierung aber eine Vollbremsung ihrer Aktivitäten. In einer Studie wurde der Blutfluss im Gehirn von Menschen im Rentenalter gemessen. Bei der Gruppe, die weiterhin gearbeitet hat, blieb der konstant. Bei der Gruppe, die aktiv den Ruhestand gestaltet hat, ist der Blutfluss in den ersten ein, zwei Jahren angestiegen. Warum? Die lernen etwas Neues und machen etwas, was ihnen Spaß macht, sei es ein Ehrenamt, sei es ein Hobby. Nach vier Jahren wird auch das dann zur Routine und das Aktivitätslevel gleicht sich wieder den Arbeitenden an.

Dann fehlt noch eine dritte Gruppe …

Diejenigen, die passiv in den Ruhestand gehen. Beispiele kennen wir vermutlich alle von Bekannten oder Verwandten. Erst hat man noch große Pläne: „Ach, dann haben wir endlich Zeit für Freunde und Reisen.“ Dann sitzt man aber doch zu Hause, geht nicht mehr raus und es folgt ein Leistungsabfall. Das sieht man ganz deutlich am Blutfluss im Gehirn. Hinzu kommen Krankheiten wie Herzinfarkt, Depressionen. Platt gesagt: Wer rastet, der rostet.

Was kann der Einzelne dagegen tun?

Seit zwölf Jahren forsche ich zu diesem Thema mit Kollegen aus ganz unterschiedlichen Disziplinen und habe eigens für die Altersforschung das „WDN-WISE Demografie Netzwerk“ gegründet. Und wir sind auf ein Kernthema gestoßen, das maßgeblich beeinflusst, wie wir altern, und zwar auf mentaler, emotionaler und physischer Basis: die Einstellung.

Der Spruch „Du bist so alt, wie du dich fühlst“ stimmt also?

Ein Kollege hat ein Bewerbungsgespräch mit einer Frau geführt und sie gefragt, ob sie sich zutraut, neue Computer-Programme zu lernen. Die meinte: „Nee, da bin ich schon zu alt für.“ Drei Sätze später stellte sich dann heraus, dass sie gerade Mandarin lernt, weil sie nach China reisen möchte. Motivation und Interesse sind hier ausschlaggebend, nicht das Alter. Eine weitere Rolle spielt aber auch der Einfluss von außen.

Inwiefern?

Der Fachbegriff dafür ist „Priming“, was so viel wie Beeinflussung bedeutet. In unserem Labor haben wir dazu eine große Studie gemacht und ältere Arbeitnehmer eingeladen, die kreative Aufgaben lösen mussten und dabei von Gutachtern bewertet wurden. Eine Gruppe wurde negativ beeinflusst, die hat vorab einen Text über die negativen Effekte des Alterns gelesen. Eine andere Gruppe bekam einen Text darüber, dass man im Alter weiser wird und Zusammenhänge besser erkennt.

Das Ergebnis war beeindruckend: Nach einem negativen Priming war die Anzahl und die Qualität der Ideen um die Hälfte gefallen. Diejenigen, die positiv eingestellt waren, lieferten hingegen mehr als doppelt so viele Ideen ab wie eine neutrale Vergleichsgruppe. Das bedeutet, mit einer dreiminütigen Intervention hat man eine Leistungssteigerung um 400 Prozent. Das ist Wahnsinn!

Das könnten doch bestimmt auch Unternehmen nutzen.

Auf jeden Fall. Eine andere Studie zeigt, dass, wenn Führungskräfte eine negative Einstellung zum Alter haben, deren ältere Mitarbeiter im Team tatsächlich unproduktiver sind.

Ich war vor einiger Zeit bei Daimler zu einem Vortrag eingeladen. Der Vorstand wollte mehrere Millionen in spezielle Fertigungslinien für ältere Mitarbeiter investieren. Die sollten mit reduziertem Pensum als sogenannte „Silver Liners“ arbeiten. Etwas Ähnliches gibt es auch bei BMW. Da habe ich erklärt, was passiert, wenn man einen Gips anlegt: Innerhalb von zwei Wochen hat man keine Muskeln mehr. Sprich: Eine pauschale und vielleicht sogar unerwünschte Entlastung ist fatal, das beschleunigt das Altern noch.

Natürlich ist es wichtig, zu schauen, wo Belastungsgrenzen sind, aber gesonderte Programme für „unproduktive Alte“ ist das falsche Signal. Stattdessen hat sich Daimler jetzt für ein großes Programm namens „JA – jung und alt zusammen“ entschieden.

Wie kann man die Zusammenarbeit zwischen jungen und alten Kollegen denn verbessern?

Das ergänzt sich sehr gut, vor allem, wenn Lösungsstrategien oder Innovationen gefragt sind. Jüngere haben mehr kreative Ideen, aber Ältere wissen, wie man diese bewerten und dann tatsächlich auch implementieren kann. Mentoring ist auch ein Thema, das gerade neu gedacht wird. Mittlerweile gibt es nicht mehr nur den älteren Mentor, der den jüngeren Mentee unterstützt. Gerade wenn es um digitale Techniken geht, drehen immer mehr Firmen diese Beziehung um und die Jüngeren helfen den älteren Kollegen.

[Artikel erschienen bei SZ.de]

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