Vielen Menschen erscheint das Älterwerden grausam, weil sich alle körperlichen und geistigen Funktionen kontinuierlich verschlechtern. Doch der Altersforscher Sven Voelpel sagt: Wir können aktiv beeinflussen, wozu wir in der Lage sind und wie alt wir uns fühlen.
Derzeit steigt die durchschnittliche Lebenserwartung mit jedem Jahrzehnt um etwa 2,5 Jahre. Jede neue Generation lebt also im Schnitt 7,5 Jahre länger als die vorherige. Die Folge: In den kommenden Jahrzehnten wird der „Alten-Quotient“, also das Verhältnis der über 65-Jährigen zur Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter, aller Wahrscheinlichkeit nach steigen. Während heute rund drei Erwerbstätige einen Rentner finanzieren, müssen das 2050 zwei schaffen, so die Prognose.
Deutschlandradio Kultur: Vielen graut davor, älter zu werden. Sie verbinden damit entscheidende Einbußen für ihr Leben, mehr Risiken als Chancen. Aber ist das wirklich so? Und was bedeutet es für eine Gesellschaft, dass die Zahl der Älteren stetig zunimmt? Darüber spreche ich heute mit Professor Sven Voelpel von der Jacobs University in Bremen. Er ist gelernter Betriebswirt und Altersforscher. Mit seinem Buch „Entscheide selbst, wie alt du bist“ schaffte er es in die Spiegel-Bestsellerliste. Guten Tag, Herr Voelpel.
Sven Voelpel: Guten Tag, Herr Ostermann.
Deutschlandradio Kultur: Liest man Ihr Buch, dann hat man den Eindruck, vieles, wenn nicht alles, ist beeinflussbar. Unsere Einstellungen bestimmen, wie alt wir uns fühlen. Aber lassen Sie dabei nicht genetische Dispositionen außer Acht?
Sven Voelpel: Also genetische Dispositionen wurden früher wesentlich höher geschätzt als heutzutage. Das heißt, man ging mal davon aus, dass eigentlich der überwiegende Teil genetisch vorbestimmt wäre, und hat im Laufe der Forschung festgestellt, dass eigentlich immer mehr beeinflussbar ist. Immer mehr heißt dann tatsächlich: Man geht heutzutage davon aus, dass zwischen 30 bis zehn Prozent tatsächlich nur genetisch festgelegt ist und der Rest eigentlich über unsere Verhaltensweisen beeinflusst wird.
„Es ist wirklich egal, wie alt ich bin“
Deutschlandradio Kultur: Nun sitzen schon 40-Jährige auf dem absteigenden Ast, so traurig das ist. Nierenfunktion oder Lungenvolumen lassen nach. Auch das Hirn wird löchriger. Also, an bestimmten Alterserscheinungen kommen wir doch gar nicht vorbei, selbst Sie nicht.
Sven Voelpel: Also, es ist tatsächlich so. Ich bin auch auf dem absteigenden Ast. Ich bin auch schon über 40. Das heißt, es ist tatsächlich so, dass alle Funktionen, also Nierenfunktionen, Herzkreislauffunktionen, Muskelstärke, auch Atemvolumen, eigentlich alles abnimmt. Allerdings kann man es auch sehr, sehr stark beeinflussen, wie stark es zurückgeht.
Ich sage mal als Beispiel die Handkraft. Man kann Handkraftmessungen tatsächlich vornehmen und sieht dann, dass jemand mit so ungefähr Mitte 30 die stärkste Handkraft hat. Das heißt, man kann da am stärksten zupacken. Dann fällt das ab und ab 40 dann noch ein bisschen drastischer. Nur wenn man sich die einzelnen Punkte rauspickt, wie diese Kurve zustande kommt, dann kommt die so zustande, dass man sagt, man hat zum Beispiel einen 24-Jährigen, der schafft gerade mal 18 Kilo zu drücken. Man hat aber durchaus über 60-jährige, die schaffen über 50 Kilo zu drücken.
Das heißt, eigentlich ist es wirklich egal, wie alt ich bin. Deswegen sage ich immer: Alter ist abgeschafft, weil es ist einfach relevant, wie stark kann ich atmen, wie stark kann ich zupacken, wie stark kann ich reagieren, es ist wirklich ganz individuell verschieden und auch total beeinflussbar.
Deutschlandradio Kultur: Trotzdem: Gehör, Gehirn, Kraft, Beweglichkeit lassen mit zunehmendem Alter nach. Die Merkfähigkeit wird schlechter, was man beim Vokabellernen sehr schnell feststellen kann. Und auch die Verarbeitungsgeschwindigkeit nimmt ab. – Mir scheint das ein zwangsläufiger Prozess zu sein, den man höchstens verlangsamen, aber natürlich nicht stoppen kann.
Sven Voelpel: Es ist ein bisschen differenzierter. Manches sind tatsächlich Prozesse, die man schlecht stoppen kann. Also gerade die biologische Alterung. Man sieht es an der Haut zum Beispiel, an Hautzellen. Aber man kann viel, wie zum Beispiel gerade gesagt, die Muskelkraft beeinflussen. Wenn ich jetzt zupacke, dann erschlafft mein Muskel. 48 Stunden später ist das kompensiert. Das heißt, ich wachse und der Muskel wird stärker. Und selbst mein Vater, der mit über 60 ins Fitnessstudio gegangen ist, schickt mir immer so seine Berichte und hat dann im ersten halben Jahr sogar erzählt, dass er über 100 Prozent an Muskelstärke zugenommen hat. Das heißt, es ist wirklich ganz egal, wie alt wir sind. Wir können tatsächlich in jedem Lebensalter immer dazu gewinnen und auch jünger sein als eben eigentlich Junge oder als man selber jünger war.
„Altern ist auch eine Frage der Einstellung“
Deutschlandradio Kultur: Wie altern wir? Welcher Zusammenhang besteht zwischen mentalen, physischen und emotionalen Faktoren?
Sven Voelpel: Also der Zusammenhang ist sehr groß. Es gibt viele, viele verschiedene Theorien übers Alter. Die wohl populärste ist, dass man sagt: Die Zellen teilen sich jedes Mal. Und bei jeder Zellteilung gibt es sozusagen Schädigungen in der DNA und es werden einzelne Telomere z.B. ausgefranst. Und diese Zellteilung, die sozusagen geschädigte, setzt sich dann fort. Das nennen wir dann eben biologisches Altern.
Die kann man natürlich ganz stark aufhalten durch bestimmte Mechanismen: das heißt durch Ernährung, durch Bewegung, aber auch durch Denkweisen. Alleine eine positive Einstellung zum Thema Altern beispielsweise lässt uns 7,5 Jahre länger leben oder 7,5 Jahre länger jung sein.
Deutschlandradio Kultur: Und das ist von jedem trainierbar? Also, dies kann jeder, der Ihrer These folgt, auch umsetzen?
Sven Voelpel: Die positive Einstellung?
Deutschlandradio Kultur: Ja.
Sven Voelpel: Ja, genau, kann jeder umsetzen.
Deutschlandradio Kultur: Jetzt sind wir alle abhängig von dem Bild, das wir von uns haben. Sie unterscheiden da zwischen statischem und dynamischem Selbstbild. – Worin unterscheiden sich beide?
Sven Voelpel: Ein statisches Selbstbild bedeutet eigentlich, dass man nicht selber für sein Handeln, also in dem Fall Alter, selbst verantwortlich ist. Und ein dynamisches bedeutet, dass man es eben selbst in der Hand hat. Das heißt, ich gehe davon aus, na ja gut, im Alter kann man halt das nicht mehr so gut. Das ist die typische Defizithypothese des Alters, die auch noch tatsächlich in der Gesellschaft stark verankert ist. Darum ging es mir auch in dem Buch, dass ich sage: Ich möchte sozusagen diese Negativhypothese des Alters aufbrechen und eben zu einer positiven kommen, dass man sagt: Nein, Alter bedeutet eben natürlich einen Abbau in gewissem Sinn, aber auch einen Zugewinn in vielen verschiedenen Bereichen.
Mir geht es darum, dass man eben durch die Einstellungsänderung, durch die Verhaltensänderung einerseits das biologische Alter verjüngen kann, andererseits aber auch das Alter akzeptiert und auch wertschätzt und auch positiv einsetzt.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben aber eben schon darauf hingewiesen, und daran unterscheidet sich ja offensichtlich unsere Gesellschaft von der anderer Kulturen, das Bild Älterer in unserer Gesellschaft ist relativ negativ. – Haben Sie dafür eine Erklärung?
Sven Voelpel: Ja, wir sind natürlich eine Leistungsgesellschaft. Und diesen Leistungsdruck, der doch ziemlich stark ist, den können halt manche in dem Alter nicht mehr so umsetzen.
Es gibt natürlich andere Dinge, auf die Ältere Wert legen. Also, beispielsweise auch in jüngeren Jahren gibt es bestimmte Effekte. Ich sage mal, als Kind sagt man, Eltern sind das Wichtigste. Dann sagt man irgendwann, Freunde sind das Wichtigste. Dann kommt Arbeit. Nach der Arbeit kommen dann eben Familie und Freunde, das ist dann bei den Älteren der Fall, und später dann auch tatsächlich das Thema Gesundheit.
So sind wir eigentlich alle gestrickt, dass wir dann die Prioritäten im Leben so verändern. Das heißt, Ältere sind tatsächlich so, dass sie dann nicht mehr unbedingt so auf die Karriere achten, sondern tatsächlich mehr auf Privates, auf Familie. Das hat einfach den Hintergrund: Da gibt es ein Konzept, das kommt aus Amerika und nennt sich „Future Time Perspective“. Das heißt: die Restlebenszeit, die ich noch habe, daran bemesse ich, wie wertvoll meine Zeit ist.
Das heißt, als Junger verschwende ich meine Zeit sozusagen, ich habe endlos viel Zeit. Wenn ich aber älter werde, merke ich, das Leben ist irgendwann begrenzt, geht zu Ende. Das heißt, die Zeit wird aufgewertet, wird mehr geschätzt. Deswegen setzt man andere Prioritäten, dass man eben wegkommt zum Beispiel von der Arbeit hin zu Familie und Freunden, wirklich das Leben auch mehr zu genießen.
„Erfahrung, Gelassenheit und emotionale Stabilität“
Deutschlandradio Kultur: Ältere haben zwangsläufig mehr Erfahrung. Das liegt ja auf der Hand. Aber was können Sie noch auf der Habenseite für die Gesellschaft verbuchen?
Sven Voelpel: Eins ist tatsächlich Erfahrung. Das ist schon einiges. Und man muss ja einige Nächte mal vielleicht als Junger durchgearbeitet haben, bis man dann gemerkt hat, das hat alles keinen Sinn. Als Älterer sieht man das eher gelassener. Und Gelassenheit ist das, was man tatsächlich gewinnt, wenn man älter wird. Gelassenheit heißt natürlich emotionale Stabilität. Das heißt auch Erfahrung, beispielsweise in den Führungsangelegenheiten. Viele Führungskräfte, viele Politiker sind älter, weil man doch komplexere Zusammenhänge erkennen muss, die man als Junger einfach noch nicht erkennen kann. So ist es dann auch mit der kristallinen Intelligenz. Das heißt, die Intelligenz, wirklich Neues zu erkennen, da erreicht man die Höhe ungefähr mit 55, man kann das aber noch weiter natürlich nach oben strecken, also bis 60 oder über 60 hinaus. Das heißt durch das Wissen, Erfahrung zu erkennen und dementsprechend natürlich einzusetzen.
Und ganz wichtig neben Gelassenheit – wir müssen nichts tun. Das Glück nimmt zu. Das heißt, wir werden im Laufe des Lebens immer glücklicher, müssen nichts tun. Das ist auch eine gute Botschaft.
Nach Arbeit und Karriere wird im Alter für viele die Familie wieder wichtiger, so der Wissenschaftler Sven Voelpel. (picture alliance/dpa/Foto: Artyom Geodakyan)
Deutschlandradio Kultur: Das sagen Sie möglicherweise aber doch nicht Menschen, die unter Altersarmut leiden. Das heißt, Sie wenden sich mit dieser Einschätzung an ein bestimmtes Klientel, an eine bestimmte soziale Schicht.
Sven Voelpel: Also, es gibt natürlich Differenzierungen, aber im Endeffekt, egal, in welcher Schicht wir sind, wir werden im Alter immer glücklicher. Also selbst wenn wir jetzt aus einer nicht so tollen Schicht kommen, werden wir auch glücklicher. Die Ursache liegt einfach darin, dass wir – wenn wir jünger sind – natürlich viel mehr erreichen wollen und sehen alles, was wir nicht haben. Während hingegen, wenn wir älter sind, blicken wir halt auf das Leben zurück. Und vor allem, negative Dinge werden oft gar nicht so gut gemerkt wie eben positive Dinge. So sind wir vom Gehirn eben auch angelegt. Und deshalb erinnern wir uns sozusagen mehr an das Positive. Und damit werden wir auch von der ganzen Sichtweise her positiver.
„Pro Generation gewinnt man etwa acht Lebensjahre“
Deutschlandradio Kultur: Herr Voelpel, Forscher gehen inzwischen sogar davon aus, dass der Mensch 120 Jahre alt werden kann. Unter welchen Bedingungen ist das eigentlich möglich?
Sven Voelpel: Es ist tatsächlich so, dass Menschen schon über 120 Jahre geworden sind. Und man meint deswegen auch, dass das die natürliche Grenze wäre, dass man nicht älter werden könnte. Es hat sich gezeigt, dass man pro Generation jeweils ungefähr acht Lebensjahre gewonnen hat. Das heißt, wir werden acht Jahre älter und sind auch acht Jahre biologisch jünger als unsere Eltern.
Und die Bedingungen sind, das hat man gut erforscht, eben Blue Zones. Das heißt, es sind Bereiche oder einzelne Gebiete, wo Menschen besonders alt werden. Zum Beispiel in Okinawa in Japan. Und das liegt an einer Vielzahl von Dingen. Das liegt einerseits an der Ernährung, also eben an eher pflanzlicher Kost, an der Bewegung, also sehr stark oder viel Bewegung. Das heißt, die Menschen mit über hundert Jahren gehen noch auf die Felder, um sie zu bewirtschaften. Die machen ihre Morgengymnastik. Teilweise zählen auch mildes Klima und die soziale Einbettung zu den entscheidenden Faktoren. Das heißt, die Menschen auf Okinawa sind wöchentlich beim Tanzen, wöchentlich beim Singen in ihren Kreisen, in denen sie eben sozial interagieren. Und all das zusammen macht eben dann das aus, dass wir jünger bleiben.
Und so sieht es auch in den anderen Blue Zones aus, zum Beispiel Sardinien, wo sich Leute eben auch ähnlich verhalten.
Deutschlandradio Kultur: Dass wir jünger bleiben, dass wir älter werden können, das meinten Sie damit?
Sven Voelpel: Genau. Wir bleiben jünger und werden älter. Aber man muss auch sagen: Selbst in Okinawa sieht man heutzutage, dass Großeltern tatsächlich älter werden als ihre Kinder, sogar Enkelkinder, weil die natürlich jetzt zum Beispiel westliche Kultur, westliches Essen annehmen, eben Fastfood, und damit teilweise wirklich früher sterben. Also, da sieht man natürlich, dass es keine genetische Disposition ist, sondern tatsächlich Verhaltensweise.
Deutschlandradio Kultur: Und es sind viele vermeintliche Kleinigkeiten, die Menschen alt werden lassen.
Sven Voelpel: Genau. Es ist eine Ansammlung von Kleinigkeiten. Und in der Forschung weiß man immer mehr, was das Alter beeinflusst. Bis hin zu Fasten und Ernährung, all das sind lebensverlängernde Maßnahmen.
„Renteneintrittsalter sollte flexibel gestaltet werden können“
Deutschlandradio Kultur: Herr Voelpel, in absehbarer Zeit haben wir in Deutschland eine Lebenserwartung von 85, von 90 Jahren. Macht diese Tatsache nicht auch eine längere Lebensarbeitszeit erforderlich, jedenfalls in Berufen, in denen das möglich ist?
Sven Voelpel: Ja, da sind wir auch noch eigentlich in einer ganz absurden Situation in Deutschland, das heißt, dass man wirklich ja ein fixes Einstiegsalter oder Ausstiegsalter hat oder Einstiegsalter in den Ruhestand. Das macht natürlich keinen Sinn, weil wir Berufe haben, wie beispielsweise den typischen Fliesenleger, der natürlich jetzt mit über 65 bzw. 67 Jahren auch nicht – ich sage mal – auf dem Boden knien kann. Während hingegen in anderen Berufen, jetzt wissensintensiven Berufen, wie Lehrer oder Professoren, länger gearbeitet werden könnte. Die haben teilweise ja versucht schon zu klagen, etwa ein Nobelpreisträger in München, dem es auch nicht gelungen ist, noch über 67 hinaus zu arbeiten.
Das ist eigentlich absurd, weil wir natürlich dann einfach Menschen haben, die eine Riesenerfahrung haben, die einfach noch arbeiten wollen und diesen Beitrag auch für die Gesellschaft leisten wollen, für sich persönlich und für die Gesellschaft. Lehrer, warum sollen die denn nicht länger lehren wollen, wenn die es wollen? Die haben einen Riesenerfahrungsschatz. Also da würde ich dafür plädieren, dass man das Eintrittsalter natürlich flexibler gestaltet. Es gibt auch Modelle schon in Schweden, wo das wunderbar funktioniert. Es könnte natürlich auch bei uns funktionieren.
Deutschlandradio Kultur: Wie sehen diese Modelle aus?
Sven Voelpel: Dass man eben selber entscheidet, wann man in den Ruhestand geht. Das heißt, man kriegt natürlich dann in gewissem Sinne eine flexible Vergütung. Das heißt, wenn man natürlich weniger eingezahlt hat, kriegt man etwas weniger raus. Wenn man länger arbeitet, dann bekommt man natürlich dann auch mehr raus. Aber heutzutage ist es ja faktisch gar nicht möglich.
Das heißt, ich darf mich natürlich selbständig machen, aber als Angestellter muss ich ja mit 65 bzw. 67 tatsächlich in den Ruhestand gehen.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben eben das Lehrerbeispiel genommen, ein möglicherweise nicht ganz glückliches Beispiel, weil gerade dort Burnout sehr weit verbreitet ist. Aber es gibt natürlich andere zahlreiche Berufe.
Aktiv bis ins hohe Alter. Hier Kurt Winkelhake bei den 17. Deutschen Senioren-Meisterschaften Leichtathletik im Jahr 2014. (dpa/ picture-alliance/ Julian Stratenschulte)
Sven Voelpel: Ich habe den Lehrer deswegen genommen, weil es tatsächlich einzelne Lehrer gibt, die geklagt haben, weil sie länger arbeiten wollen. Und da gibt es eine große Diskrepanz. Das heißt, einige wollen einfach sehr, sehr lange arbeiten. Und wir haben tatsächlich eine hohe Burnout-Rate… Als Menschen haben wir eine wahnsinnige Plastizität. Das heißt, es gibt Leute, die sind mit 50 nicht mehr fähig, den Beruf auszuführen. Und es gibt welche, die sind wahrscheinlich mit 75 noch bestens dazu fähig. Da muss man einfach sagen, das mehr Flexibilität wünschenswert wäre für die einzelnen Individuen, aber natürlich auch für Schulen und für den gesamten Staat.
Deutschlandradio Kultur: In jedem Fall steigt der Altenquotient, also das Verhältnis der über 65-Jährigen zur Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter.
Wie groß ist die Gefahr, dass wir wegen des demografischen Wandels zu wenige Arbeitskräfte haben mittelfristig?
Sven Voelpel: Also da gibt es ja erstmal zwei verschiedene Thesen. Als ich 2004 selber angefangen habe an der Jacobs University zu arbeiten, da war eine Prognose bis 2040, dass wir tatsächlich ungefähr 14,5 Millionen Personen zu wenig haben im arbeitsfähigen Alter. Das heißt, wir gehen davon aus, dass wir irgendwie so 44,5 Millionen Personen tatsächlich heutzutage haben zum Arbeiten und später nur noch 30 Millionen. Das heißt, es würden dann 14,5 fehlen.
Das ist aber rein bezogen auf das faktische Alter. Wenn wir natürlich heutzutage sehen, wie fit wir teilweise sind – wenn man das jetzt vergleicht mit einer Generation davor, liegen Welten dazwischen. Das heißt, man hat Potenzial, dass die natürlich länger arbeiten können – wenn man natürlich die Gesetze anpasst.
Aber auf der anderen Seite gibt es natürlich den technischen Fortschritt. Wenn man sich mal anguckt, dass alleine in den letzten 60 Jahren durchschnittlich die Produktivität um drei Prozent gestiegen ist in allen Industrien, dann sieht man auch, dass man eigentlich gar nicht 14,5 Millionen zu wenig hat, sondern vielleicht sogar irgendwie – sage ich mal – mit 20 Millionen das Ganze erreichen könnte, das heißt, nochmal zehn Millionen zu viel hat.
Und wenn man dann noch davon ausgeht, dass eigentlich die Digitalisierung noch einmal zum Produktivitätswachstum beiträgt und vielleicht diese Linearität sogar aufhebt, weil sie das in den meisten Bereichen tut, dann gibt es ein exponentielles Wachstum. Das heißt, dann können wir viel, viel mehr erreichen. Wir bräuchten eigentlich noch weniger Arbeitskräfte. Und somit habe ich mal so ein Plädoyer geschrieben in der FAZ: Rente mit 50, weil man eben mit 50 in Ruhestand gehen kann.
Ob wir es uns leisten können, ist eine Frage der gesellschaftlichen Umverteilung. Wenn die Produktivität steigt, dann kann ich als Staat einführen, dass einfach die Produktivität, die Unternehmen erwirtschaften, tatsächlich umverteilt wird auf die Menschen, die ja auch Geld haben müssen, um die Kaufkraft zu erhöhen. Ich meine, das ist ja auch jetzt groß in den Diskussionen, zum Beispiel das bedingungslose Grundeinkommen. Da laufen auch Experimente. Es gab auch schon Experimente. Die sind aber wissenschaftlich nicht richtig ausgewertet worden. Momentan ist, glaube ich, Finnland gerade dabei, das Experiment neu aufzurollen. – Also, das ist alles möglich.
Aber auf der anderen Seite ist es so: Man kann mit 50 in Ruhestand gehen. Und dann war so ein Abschlussartikel: Rente mit 100, weil der älteste Marathonläufer ist tatsächlich 101, der den Schuh an den Nagel gehangen hat. Und das ist eigentlich absurd, dass man bis 100 noch Marathon laufen kann, aber eben mit 67 nicht mehr arbeiten darf.
Insofern muss es eine Flexibilität geben, dass wir selber es auch in der Hand haben, selber entscheiden können, ob wir mit 50 noch arbeiten wollen, ob wir in den Ruhestand gehen wollen oder eben bis 100 arbeiten. Das liegt ja an jedem persönlich, was er für Präferenzen hat.
„Die Digitalisierung ist Chance und Risiko zugleich“
Deutschlandradio Kultur: Sie haben eben das Stichwort Digitalisierung genannt. Ist sie eigentlich eine Chance oder ein Risiko für die immer älter werdende Gesellschaft?
Sven Voelpel: Also, es gibt natürlich ein Risikopotenzial. Es liegt auch eine Chance drin. Und es ist, wie bei den meisten Themen auch, beim Thema Demographie unsere Herangehensweise an die Thematik entscheidend. Das heißt, wenn wir eine negative Einstellung haben zur Digitalisierung, dann wird sie uns auch negativ treffen als Individuen, als Unternehmen und auch als Gesellschaft. Haben wir eine positive Einstellung zum Thema Digitalisierung, dann wird sie uns sicherlich zugute kommen, wieder individuell, unternehmensspezifisch und auch für die ganze Gesellschaft.
Deutschlandradio Kultur: Aber man kann doch schon davon ausgehen, dass die Digitalisierung Arbeitsplätze kostet. Analoge Geschäftsmodelle werden in die digitale Welt überführt, heißt es immer wieder. Und manche Experten rechnen hoch, dass jeder zweite Arbeitsplatz wegfällt. Welche Bereiche könnten, dürften da besonders betroffen sein?
Sven Voelpel: Es ist in der Tat so, wenn man sich das mal historisch ansieht, dass Innovationen natürlich immer strukturell Arbeitsplätze gekostet haben. Das heißt, in einzelnen Industrien werden sicherlich Leute entlassen. Gesamtgesellschaftlich aber gesehen ist meine Meinung, dass wir als Menschen immer mehr haben wollen. Das heißt, wir reden hier von Produkten, von Services. Das heißt, sobald dann Arbeitskräfte frei werden, werden die sicherlich auch in anderen Bereichen wieder Arbeit finden.
Das mag natürlich für Individuen teilweise eine Betroffenheit sein, weil die einfach dann keinen Job mehr kriegen, wenn die nicht qualifiziert sind. Aber andererseits werden wieder neue geschaffen, wo sie dann auch teilweise hingehen können. Und insgesamt ist die Arbeitslosigkeit ja nicht gestiegen. Das heißt, wir haben als Menschen eigentlich immer mehr Arbeit bekommen in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten, so dass ich davon ausgehe, dass die Digitalisierung das Gleiche machen wird, trotz dessen, dass sie natürlich ein wahnsinniges Potenzial an Produktivitätszugewinn haben wird. Das sehe ich auch, wenn man es gut nutzt, eben als Chance, weil wir dadurch natürlich alle immer mehr haben können und viele der Probleme, die wir auch haben, jetzt ökologische Probleme, soziale Probleme, natürlich durch diese Produktivitätsgewinne tatsächlich lösen können.
Wir müssen es aber tatsächlich so einsetzen, dass wir es vom Staat her, von Staatengemeinschaften, auch von Unternehmen her und von Individuen natürlich positiv angehen, so dass es auch zu dieser Umverteilung kommt.
Deutschlandradio Kultur: Ich habe bei Ihnen das Gefühl, habe den Eindruck: Immer dann, wenn wir etwas positiv angehen, dann gelingt uns das auch. Aber das ist doch nicht garantiert. Das ist zwar ein Blickwinkel, der die Arbeit leichter macht oder die Einschätzung möglicherweise verändert, aber eine Garantie ist das doch nicht.
Sven Voelpel: Also es ist keine Garantie, es ist aber eine Garantie, wenn man es positiver sieht, dass man die Sachen dann zumindest ein bisschen besser löst. Das zeigt auch die Forschung. Wenn wir positiv an Dinge herangehen, dann haben wir schon mal alleine eine 37 Prozent größere Gehirnleistung. Das ist schon alleine ein Plädoyer, warum wir eigentlich Sachen positiv ansehen sollen.
Es ist aber so, dass wir eigentlich historisch gesehen natürlich von einem katastrophischen Gehirn ausgehen. Das heißt, unser Gehirn ist natürlich auf negativ programmiert. Denn es könnte ja jederzeit in der Vergangenheit ein Säbelzahntiger um die Ecke kommen. Und dann war es das mit uns. Insofern sind wir natürlich immer ständig in Panik und sehen die Dinge negativ. Man kann aber systematisch, und da gibt es viele Studien auch der Harvard University, sein Gehirn so umprogrammieren, indem man eben versucht, viermal mehr positive wie negative Dinge zu sehen. Und dadurch wird man tatsächlich in allen Lebensbereichen wesentlich produktiver. Und das schlägt natürlich um – im Beruflichen wie im Privaten.
Deutschlandradio Kultur: Sie arbeiten mit Unternehmen zusammen und tauschen sich über Fragen zum demografischen Wandel aus. Werden da ältere Arbeitnehmer eigentlich eher als Handicap oder als Chance gesehen?
Sven Voelpel: Also das war eben so am Anfang meiner Arbeit, dass natürlich ältere Mitarbeiter als Handicap gesehen worden sind. Sie sind teurer, nicht mehr so flexibel einsetzbar, wenn man längere Zeit in einem bestimmten Bereich gearbeitet hat. Es hängt natürlich an den Arbeitsstrukturen. Wenn man natürlich immer gelernt hat, flexibler zu sein, dann bleibt man auch lange flexibel. Also, es ist gar kein Problem. Wenn man – wie früher – in bestimmten Registerbereichen für einen Buchstaben A in irgendeinem Amt zuständig war, dann ist es natürlich schwierig, dann nach zehn Jahren zu wechseln.
Wenn man aber permanenten Wechsel gewöhnt ist, dann ist man natürlich auch trainiert, das eben direkt zu vollziehen.
„Schätzen Führungskräfte das Alter, steigt die Produktivität“
Deutschlandradio Kultur: Und wie nutzen Firmen das Know-how Älterer?
Sven Voelpel: Also, hier gibt es eine Einstellungsänderung. Wir haben beispielsweise mit Firmen eine große Ausstellung organisiert. „EY, ALTER – Du kannst dich mal kennenlernen“. Die haben wir im Universum aufgebaut. Wir haben ja eine negative Einstellung zum Thema Alter. Viele jedenfalls. Dann liest man eben das Buch oder geht durch die Ausstellung und sieht nachher: Alter ist ja gar nicht nur negativ. Alter ist ja differenziert. Ich habe zwar Abbauprozesse, aber a) kann ich diese Abbauprozesse beeinflussen und b) habe ich auch Dinge, die sich aufbauen. Also zum Beispiel Gelassenheit, zum Beispiel Innovationen. Weil man halt bestimmte Prozesse kennt, können Ältere aufgrund dieser Erfahrung eben besser Innovationen nutzen, wie schon gesagt, Erfahrungen, die sie weitergeben können, also nutzen natürlich für sich selbst, dann weitergeben können an einen ihrer Mitarbeiter, aber auch emotionale Stabilität eben für die Führungsstärke. Sie sind weniger risikoavers als Jüngere. Sie können zum Beispiel Innovationen besser einschätzen. Also Jüngere verfolgen in der Tat teilweise mehr radikale Innovationen. Das heißt, die haben noch nicht so viel Wissen, also schlagen sie halt bestimmte Dinge vor. Und von tausend Dingen funktioniert vielleicht eins. Das können aber die Jungen selber nicht einschätzen. Die Älteren wissen aber genau, na ja, das könnte gut funktionieren, haben dann auch dieses Netzwerk tatsächlich, diese Ideen eben umzusetzen und dann wirklich auch Realität werden zu lassen.
Deutschlandradio Kultur: Sie sprachen eben von einer Ausstellung. Wo war die?
Sven Voelpel: Die war im Universum Bremen, das Wahrzeichen hier in Bremen. Und jetzt ist sie momentan, das ist eine Wanderausstellung, im Mercedes-Benz-Museum noch bis zum Juni zu sehen. Und da gibt es gut 30 Exponate, mit denen man eben Handkraft, Sprungkraft messen kann, sein Alter bestimmen kann, also biologisches Alter, das psychologische Alter, das Erfahrungsalter. Man kann Teams zusammensetzen. Man misst seine Selbstwirksamkeit, also ganz, ganz viele Sachen, Geschicklichkeitsübungen, Gleichgewichtsübungen. Und aus dem allen wird ein differenziertes Alter ermittelt.
Und da gehen eben Leute rein und geben dann an, wie viel rauchen sie, wie viel trinken sie, wie ernähren sie sich, wie schlafen sie, wie positiv sehen sie das Leben, wie zufrieden sind sie mit ihrem Leben – und kommen dann eben am Schluss der Ausstellung raus mit bestimmten Zahlen, eben wie alt sie denn tatsächlich individuell sind, und lernen aber auch ganz viel, wie unser biologisches Alter abhängig ist tatsächlich von unseren Verhaltensweisen, und sie gehen eben dann positiv gestärkt wieder raus.
Wie man das nutzt jetzt im Unternehmen? Durch die Ausstellung sollen knapp eine Million Menschen durchgehen. Und alleine 4.000 Führungskräfte werden jetzt in 135 Tagen geschult. Die fliegen weltweit ein zum Mercedes-Benz-Museum, kriegen da eine Schulung, laufen durch die Ausstellung. Und dann vollzieht sich natürlich so eine Einstellungsänderung.
Und es ist tatsächlich so, das wurde repräsentativ für ganz Finnland getestet: Wenn wir eine positive Einstellung haben zum Thema Altern als Führungskräfte, dann steigt die Produktivität der älteren Mitarbeiter. Wenn wir eine negative Einstellung haben, dann sinkt die Produktivität.
Das ist das Ziel, dass eben Mitarbeiter hier tatsächlich geschult werden, Führungskräfte insbesondere auch geschult werden über die positiven Ansichten des Alters und damit natürlich auch eine höhere Produktivität leisten.
Und als faktisches Beispiel: Wir haben hier in Bremen das größte Werk von Daimler überhaupt, neben der Zentrale das größte Werk mit knapp 13.000 Mitarbeitern, mit dem höchsten Altersdurchschnitt, aber auch der höchsten Produktivität.
Das heißt, wir arbeiten ja seit 2004 zusammen, wir versuchen immer tatsächlich das zu nutzen: Wir haben hier Ältere. Die haben die ganze Erfahrung. Die bringen die ein. Und dadurch schaffen wir größte Produktivität.
Wenn man das umsetzt, und das zeigt sich auch, dann gewinnen die momentan einen Preis nach dem anderen im Werk Bremen, genau weil sie diese Alterskonzepte umsetzen und damit auch die Erfahrung der Mitarbeiter nutzen.
Viele wollen aber nicht nur länger arbeiten, sondern auch länger lernen. Eine Vorlesung an der TU Chemnitz. (picture alliance/dpa/Foto: Wolfgang Thieme)
Deutschlandradio Kultur: Beschäftigen wir uns insgesamt in der Gesellschaft eigentlich genug mit dem demografischen Wandel? Wenn die Kanzlerin jetzt beim letzten Gipfel zu diesem Thema die Generationen aufforderte, sich zu streiten, ohne dass der gesellschaftliche Zusammenhalt auf der Strecke bleiben dürfe, dann ist das doch ein Indiz dafür, dass die Politik nach Lösungen sucht.
Sven Voelpel: Also, sagen wir mal so: Emotionale Konflikte sind immer negativ. Das wissen wir aus der Forschung. Sie sind immer negativ.
Was natürlich konstruktiv ist, und darauf spricht wahrscheinlich Angela Merkel an, ist, dass man in Dialog tritt, das heißt, intellektuell sozusagen Konflikte austrägt und über diesen intellektuellen Konflikt dann natürlich verschiedene Sichtweisen reinbringt. Das zeigt ja die ganze Forschung der Vielfalt, also Diversity, dass wir eigentlich dazu gewinnen über eine Vielfalt. Es ist egal, ob das jetzt eine Alters-Diversity ist, ob das Männer und Frauen sind, ob das verschiedene Nationalitäten sind, die zusammenleben. Dadurch habe ich verschiedene Werte, verschiedene Blickwinkel, verschiedene Sichtweisen. Wenn ich die kombiniere, dann kriege ich eigentlich ein besseres Ergebnis raus. Das heißt, ich bekomme innovativere Lösungen, bessere Lösungen.
Deswegen ist es natürlich wichtig, für solche Ansätze natürlich Jüngere und Ältere einzubeziehen, weil man dann beide Sichtweisen mit einbezieht und dadurch zu besseren Lösungen kommt.
„Demografische Probleme werden auf die lange Bank geschoben“
Deutschlandradio Kultur: Trotzdem wundert man sich eigentlich. Ich glaube, den ersten Demografie-Gipfel gab es vor 15 Jahren. Damals war der Begriff Demografie auch noch überhaupt nicht bekannt. Es tut sich doch herzlich wenig gesellschaftlich. – Oder haben Sie da einen anderen Eindruck?
Sven Voelpel: Also, es wird immer viel diskutiert natürlich. Jeder kennt die Alterspyramiden. Jeder weiß, was das ist. Das kennen wir eigentlich aus der Soziologie relativ gut seit den 60er/70er-Jahren insbesondere. Aber tatsächlich ist es so: In den Handlungsweisen wird es natürlich immer hinausgeschoben, weil natürlich bestimmte Lösungen ja nicht kurzfristig gut für die Politik, für die Wähler sind. Man schiebt das Problem halt voran, genauso wie natürlich in allen Generationsproblemen, so Umweltprobleme, alle Probleme werden natürlich immer gerne auf die nachfolgenden Generationen geschoben. Und genauso sieht es natürlich hier auch aus. Rentenfinanzierung, die wird natürlich auch von der Tagespolitik weggeschoben – ganz klar.
Deutschlandradio Kultur: Es geht einerseits um einen Wettbewerb der Ideen, andererseits aber auch um einen fairen Lastenausgleich. Sie haben die Renten gerade eben angesprochen. Das Institut der Deutschen Wirtschaft fordert dringend eine Demografierücklage. Wie dringend brauchen wir diese Art Altersvorsorge des Staates?
Sven Voelpel: Es ist die Frage, wenn man sich die Berechnungen anguckt, für was man Demografierücklagen benötigt. Eigentlich sollte sie ja eingeplant sein schon in die Renten. Aber sicherlich könnte man den Aspekt nochmal direkt gesondert angucken. Es ist eigentlich eine ökonomische Sache, das durchzurechnen. Und ich gehe davon aus, dass das Institut der Deutschen Wirtschaft das auch gut gemacht hat.
Deutschlandradio Kultur: Die Bündnis-Grünen gehen noch einen Schritt weiter. Sie fordern einen im Kanzleramt sitzenden Beauftragten, einen Staatsminister, eine Staatsministerin für Demografie. Würde ein solches Amt wirklich etwas bewegen können?
Sven Voelpel: Das kommt natürlich wieder drauf an, wie das Amt ausgeführt wird. Also, wir haben ja teilweise in den großen Unternehmen, also in DAX-Unternehmen, natürlich alle Diversity-Funktionen eingeführt. Ich glaube, es ist notwendig, dass es so was gibt. Aber man müsste natürlich auch die Personen dementsprechend ernst nehmen und auch mit den Mitteln ausstatten und auch mit der Abstimmungskraft, damit sich wirklich was bewegt. Damit das nicht ein Feigenblatt wäre.
Deutschlandradio Kultur: Die Gefahr besteht natürlich. 2040, Herr Prof. Voelpel, ist es für Sie selbst soweit. Dann haben Sie das Rentenalter erreicht. Wagen Sie eigentlich eine Prognose über die Arbeitswelt von übermorgen?
Sven Voelpel: Also, ich glaube, dass 2040 wahrscheinlich mehr passieren wird als wir uns tatsächlich vorstellen können. 2002 habe ich drei Monate für eine Gastprofessur in Tokio gelebt. Da sind die Züge ja schon auch ohne Fahrer gefahren. Da war vorn und hinten alles voll Glas. Man hat sich dann gewundert, wie die tatsächlich fahren. Das heißt, technisch ist natürlich sehr, sehr viel möglich.
Und ich glaube, dass wir drastische Einschnitte erleben im Berufsleben. Das beginnt bei Robotics, bei der Digitalisierung. Die Frage ist natürlich: Wie wird das umgesetzt mit gesetzlichen Bestimmungen. Es sind natürlich bei uns auch Prozesse mit Gewerkschaften usw.
Also, sowas dauert dann schon länger, bis technische Innovationen durchgesetzt und umgesetzt werden. Aber im Endeffekt wird die Berufswelt komplett umgekrempelt werden bis 2040. Davon bin ich absolut überzeugt.
Deutschlandradio Kultur: Vielen Dank, Herr Voelpel, für das Gespräch.
Sven Voelpel: Vielen Dank, Herr Ostermann.