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Nicolas Burkhardt

15. September 2017

Science Fiction als Innovationstreiber

Science Fiction als Grenzbereich des Denkbaren 

Ja richtig, es gab da mal eine TV Serie (mit überschaubarem Erfolg), die auf einem gleichnamigen Roman von Robert J. Sawyer beruhte. Flashforward. Dabei ging es – zusammengefasst – um die Auswirkungen einer kollektiven Ohnmacht, während jener die Menschheit um 6 Monate in ihre Zukunft katapultiert wurde. Nach 137 Sekunden war der Spuk vorbei und die Bevölkerung musste mit den Einblicken zurechtkommen…

Relativ „abgedreht“ werden Sie sicherlich denken. Durchaus berechtigt – aber so ist Science Fiction halt. Immer im Grenzbereich zum Denkbaren. Und das macht das Genre ja auch so spannend für uns. Science Fiction ist eine erstklassige Inspirationsquelle im Kontext von Innovation. Man muss gar nicht weit überlegen, um zu entdecken, wie viel vorweggenommene Entwicklungen und Wahrheiten die Gattung in sich trägt.

Technologischer Fortschritt, Jahrzehnte voraus 

Brauchen Sie Beispiele? Fangen wir an…

Also, da wäre zunächst einmal der Klassiker aller Science Fiction Serien: Star Trek Enterprise. Denken Sie nur an den Communicator, den James T. Kirk lässig aufgeklappt nutzte, um mit Scotty im Maschinenraum zu kommunizieren. Recht ähnlich wirkt da doch das Motorola Razr, das it-girl Paris Hilton Jahrzehnte später aus ihrer it-bag zog.

Tatsächlich war das Handy (Sic!) von Jim sogar noch ein wenig „more sophisticated“, da es wohl schon intensiv Bluetooth und verbesserte Freisprechtechnologie nutzte.

Gleiche Serie, anderes Beispiel: der Replikator.

Sie kennen den Replikator nicht? Den Traum eines jeden Single Haushalts? Vorreiter von Visionen, die die Lebensmittelbranche aktuell in Punkto 3D Druck hat? Auch hier war Star Trek der Entwicklung voraus. Immerhin konnte man sich vom Replikator bereits ein Tiramisu wünschen und bekam dann auch binnen Sekunden einen ansehnlichen Glasbecher kredenzt. Yummie, yummie!

Inspiration durch Utopie und Dystopie

Eventuell haben Sie 2015 ja mitbekommen, dass einer der wohl realistischsten Zukunftsfilme sein 30jähriges Jubiläum feierte: „Back to the Future“. Ein wunderbares Meisterwerk. Grund genug für zahlreiche Medien, die Visionen, die Marty McFly und Doc Brown in Ihrem persönlichen 2015 umgeben haben, auf inzwischen stattgefundene Realisierung zu überprüfen. Man stieß durchaus auf Erfolge.

Den Gegenpol zu letztgenanntem Film, dessen Rezeption auch deswegen so positiv war, weil ein überwiegend optimistisches Zukunftsbild im Bezug auf technologischen Fortschritt gezeichnet wird, bilden Dystopien.

Unzählige dieser Endzeitszenarien wurden in den letzten Jahrzehnten zu regelrechten Blockbustern. Die Lust am Grauen ist halt groß – man könnte annehmen heute mehr denn je, aber das ist ein anderes Thema.

Von der absoluten Mutter aller düsteren Zukunftsvisionen „Metropolis“ (1927), über „RoboCop“, „Judge Dredd“ und „Terminator“ (80er und 90er) bis hin zu „Minority Report“, „Idiocracy“ und den „Tributen von Panem“ (2000er Jahre). Überall finden sich (teilweise erschreckend) starke Bezüge zu sich entwickelnden Realitäten.

Die Macht der Immersion

Als ich kürzlich mit meinen Studierenden eine innovationsphilosophische Fragestellung diskutiert habe, kamen wir auf ein weiteres Filmbeispiel, das ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Auch dieses Beispiel könnte sich mit etwas düsterer Phantasie bewahrheiten. Aber dazu später mehr…

Den Anlass für das spezielle Gedankenexperiment gab ein Erlebnis, dass ich beim gemeinsamen Testen einer Virtual Reality Brille mit einem älteren Kollegen aus Forschung und Lehre hatte.

Beim Ausprobieren wurde recht schnell deutlich, dass die Immersionskraft – also das gefühlte Hineingezogenwerden in den künstlichen Erlebnisraum – einen tatsächlich immens höheren Grad aufweist, als dies noch bei den bekannten Spielen aus dem Konsolenzeitalter der 90er und 00er Jahre der Fall war.

Auch damals war es ja durchaus schon so, dass die – Medienkritiker wie Jean Baudrillard oder Paul Virilio würden sie als Extensionen oder Prothesen beschreiben – „Controller“ so sinnlos in eine Richtung gekrampft wurden, bis man das Gefühl hatte mit dem Rennwagen eben doch noch um die programmierte Ecke zu kommen.

Der Umgang mit der neuen, seit einiger Zeit käuflich erfahrbaren, virtuellen Realität nimmt den Nutzer weit tiefer mit. Tiefer in die Sphären des Digitalen. Das Immersionserlebnis meines Kollegen war beispielsweise derart stark, dass er sich schon nach wenigen Minuten gänzlich unbeobachtet fühlte. Und zwar auf jedem Kanal. Er fluchte, trat ungeniert durch die Gegend und keuchte nach Luft schnappend vor sich her, ob der realen Anstrengung, die die Virtualität für ihn auslöste.

Interessant an der Stelle ist, dass das intensive Immersionserlebnis selbstverständlich völlig neue Perspektiven für digitalisierte Geschäftsmodelle eröffnet. Überlegen Sie nur, welche Chancen und Margen sich durch einmalig programmierte Erlebniswelten, die Auswirkungen auf den realen Körper haben, erzielen lassen. Allein die Tourismusbranche (oder jeder, der die Value Proposition „Erholung“ anbieten möchte) kann Erlebnisse offerieren, die direkt auf dem Sofa abgerufen werden können. Pay-per-Experience sozusagen.

Es verwundert daher wenig, dass auch die Pornoindustrie im Zukunftsfeld kräftig mitmischt. 2025 sieht sie einen Markt für „Adult Content“ von 6 Mrd. US $. Dementsprechend hoch sind die aktuellen Investments, die zur Entwicklung und Optimierung aufgewendet werden. Schenkt man ersten Beispielen aus Japan Aufmerksamkeit, ganz offenbar auf Unternehmens- UND Test-User Seite.

Das Gedankenexperiment

Wie dem auch sei – zurück zur Diskussion mit den Studierenden. Die Frage, die ich stellte lautete seinerzeit:

Was machen wir eigentlich mit unserer Gesellschaft und allen Bevölkerungsteilen, die durch die Digitalisierung keine Beschäftigung mehr haben, weil ihr heutiger Job schlichtweg entfällt? Wie sieht die Welt 2037 aus? Auftrag: Seien Sie innovativ!

Keine Frage, bei der Aufgabe wurde durchaus schwarz gemalt, aber es sollte ja auch zu kreativen Überlegungen anregen. Die Studierenden wurden in der Folge angeleitet Hauptprobleme und möglichen Lösungsszenarien zu identifizieren.

Langeweile und das „sich-nicht-mehr-gebraucht-Fühlen“ wurden in dem Kontext als soziale Kernthemen erkannt, ebenso wie die Problematik abnehmender Kaufkraft durch die vermeintliche Erhöhung von Arbeitslosigkeit. Gerade aus der Konsequenz „Langeweile“ heraus, sahen die Studierenden zusätzlich das zunehmende Risiko von ungewünschtem Verhalten und Kriminalität.

Als erste, eher Symptom-bekämpfende Lösung, wurde das Thema bedingungsloses Grundeinkommen diskutiert. Und obwohl das Experiment in Finnland gerade recht aktuell ist, war die deutlich positive Einstellung gegenüber derartiger, sozialer Leistungen doch überraschend. Im weiteren Verlauf durchdachten die Studierenden umfangreich Jobbeschreibungen (in der Kreativitätskurve das klassische Tal der Ratlosigkeit), bis wir zum Ende hin auf schöpferisch neue Gedanken kamen.

Gesellschaftliche Dystopie der digitalisiersten Welt

Was, wenn ein Teil der Bevölkerung zwar physisch noch unter uns, mental aber in einer parallelen, virtuellen Realität leben würde. Gebraucht, glücklich und für die echte Welt risikoreduziert. Wäre das keine Lösung? Ja, gruselige Vorstellung – zugegeben – aber ob sie tatsächlich so abwegig ist?

Machen wir uns den „Spaß“ und tauchen erneut in die Welt der Science Fiction ab. Erinnern Sie sich noch an „The Matrix“? Würde es ein Prequel zur Triologie geben, wären dort eventuell die Gründe für die Entstehung der Matrix dargelegt und auch, warum sich ganze Bevölkerungsgruppen lieber von der perfekten Programmierung besäuseln lassen, als sich für die rote Pille zu entscheiden.

Die blaue Pille bekämpft die Problematik der sich ergebenden Konsequenzen aus der Digitalisierung umfangreich. Wir erinnern uns: Arbeitslosigkeit, sinkende Kaufkraft, Langeweile. Alles passé.

„You take the blue pill – the story ends, you wake up in your bed and believe whatever you want to believe. You take the red pill – you stay in Wonderland and I show you how deep the rabbit-hole goes“. Morpheus zu Neo in der spezifischen Szene. Eventuell ist das ja die Entscheidung, die wir irgendwann einmal zu treffen haben.

William Gibson beschreibt in seiner Romantrilogie Neuromancer, wie sich in der neuen Zeit die Objekt-Subjekt Dialektik fortschreitend einer Umkehrung nähert. Der Controller (in dem Fall die VR Brille) sind nicht mehr Prothese und Verlängerung des menschlichen Armes, sondern vielmehr die Ausdehnung der Maschine auf den Körper (vgl. auch Bühl 2000, S. 377).

In der sehr dystopischen Konsequenz von „The Matrix“ heißt das: die Maschine oder die Matrix hält sich über die Menschheit am Leben. Geboren um angestöpselt zu werden und ein glückliches Leben in der Virtualität zu führen.

Ich persönlich hoffe, dass wir niemals soweit kommen, aber vollkommen unmöglich erscheint es mir nicht.

 Stellt sich abschließend die Frage, wer letztlich entscheidet in welcher Welt er leben möchte (und darf) und ob es immer einen Weg zurück gibt?
Science Fiction als wertvoller Innovationstreiber

Die technologischen Entwicklungen, die wir heute erleben, determinieren unsere Zukunft. Science Fiction gibt uns bereits jetzt Denkanstöße, was in fernerer Zukunft noch kommen mag. Diese Quelle sollten Sie als Innovatoren nutzen, um sich selbst in gedankliche Gründe zu wagen, in denen nie ein Mensch zuvor gewesen ist. Auch wenn die nicht immer schön sind.

Nicolas Burkhardt

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