Spezialisierung galt noch vor wenigen Jahren als zentrales Merkmal der modernen Arbeitswelt.
Die Realität sieht heute oft anders aus: Jeder tut etwas anderes als früher, aber wenig von dem, was er am besten kann.
Was ist eigentlich aus der Spezialisierung geworden? Ich habe den Eindruck, sie ist der Effizienz zum Opfer gefallen. Es gibt immer weniger Generalisten mit einem breiten Horizont und immer mehr hoch spezialisierte Fachexperten, die in ihrem Bereich die Krone der Schöpfung darstellen.
In gewissem Maße hat dieses Denkmodell gerade angesichts der Digitalisierung der Arbeitswelt mehr Sinn denn je: Wenn alle Mitarbeiter eines Unternehmens optimal miteinander vernetzt sind und in ständigem Kontakt stehen, können all die hoch spezialisierten Wissensarbeiter ihren Teil zum Erfolg beitragen. Das Unternehmen profitiert von maximaler Expertise in allen Bereichen – wenn es der Führung gelingt, die vielen Einzelleistungen zu einem optimalen Endergebnis im Sinne des Kunden zusammenzuführen.
Klingt gut. Aber wie sieht die Realität der Spezialisierung in den Unternehmen aus? Was hat das Monkey Business aus der guten Idee gemacht? Und was hat der Kunde davon?
WUNSCH UND WIRKLICHKEIT
In den kühnsten Träumen der Management-Theoretiker würde Spezialisierung so funktionieren wie die Arbeit in einem Bienenstock: Jeder kennt seine konkrete Aufgabe und verrichtet sie konsequent, ohne nach links und rechts zu schauen. Alles greift optimal ineinander. Keine verschwendeten Kapazitäten, keine Reibungsverluste, keine Leistungsdefizite, kein Motivationsmangel, kein Erklärungsbedarf. In einem Bienenstock ist die Spezialisierung auf die Spitze getrieben, und sie funktioniert perfekt. Es gibt da nur ein kleines Problem:
WIR SIND KEINE BIENEN.
Unsere Unternehmen bestehen aus Menschen mit eigener Persönlichkeit, mit individuellen Talenten und mit einem Bedürfnis nach emotionaler Zugehörigkeit. Wir wollen den Sinn hinter dem spüren, was wir tun. Denn im Gegensatz zu den Bienen ist uns als Menschen die Freiheit eingebaut. Wir müssen nicht. Unser Überleben hängt nicht vom Überleben des Bienenstocks ab. Wir hängen uns nur rein, wenn wir verstehen, wozu, und dieser Mission folgen wollen. Deshalb dient Führung dazu, das Wollen zu stärken, nicht das Müssen. Und deshalb brauchen wir den breiten Horizont. Wenn Mitarbeiter in ihrem Tun vom Sinn des Unternehmens getrennt werden, verlieren sie die Orientierung. Denn im Gegensatz zur genetischen Programmierung der Bienen ist der Erfolg eines Unternehmens eine menschengemachte Kulturleistung. Wir können nicht verlangen, dass Mitarbeiter blind folgen. Wir müssen ihnen schon vermitteln, wozu sie sich engagieren sollen. Wenn wir das nicht einmal bei unseren Mitarbeitern schaffen, wie soll sich dann der Kunde mit dem Unternehmen identifizieren?
EXPERTEN-MANAGER VS. ERFAHRUNGS-LEADER
Deshalb gibt es Schwierigkeiten, wenn ein Unternehmen versucht, sich zu organisieren wie einen Bienenstock: maximal auf Effizienz getrimmt. Leider tun viele Unternehmen genau das: Sie missbrauchen das Paradigma der Spezialisierung dafür, Führung auf Effizienzoptimierung zu reduzieren.
Nicht zuletzt ist der einseitige Fokus auf Effizienz oft auch ein Ergebnis der Beförderungsmechanismen, besonders in großen Unternehmen: Meist werden Experten zu Managern gemacht, die über hervorragende Fachkenntnisse verfügen. Sie neigen dazu, Führung aus dem Blickwinkel ihres Spezialwissens zu betrachten. Deshalb ist ihre Herangehensweise an Führung oft, ihre Expertise in kleine Häppchen zu zerlegen und als Aufgaben nach unten durchzureichen. Im krassen Gegensatz dazu stehen Erfahrungsmanager, die für ihre sozialen Kompetenzen zu Führungskräften aufsteigen. Sie haben viel Lebenserfahrung, viel Managementerfahrung und viel Erfahrung im Umgang mit Menschen – und verstehen Führung als ein komplexes Netzwerk von Beziehungen und Talenten.
In der aktuellen Ausgabe des Wirtschaftsmagazins „Brandeins“ wird die Sachbearbeiterin eines deutschen Großkonzerns mit den Worten zitiert: „Viele sind hier nur noch für einen kleinen Bereich zuständig. Man muss auf einmal viel weniger wissen. Es wird einfacher, aber das ist eher demotivierend. Die meisten hier fänden es spannender, für mehr Arbeitsschritte verantwortlich zu sein.“
In diesen Worten steckt sehr viel Wahrheit darüber, woran eine auf Effizienz getrimmte Führung krankt. Spezialisierung ist ein Vorteil, wenn sie dazu dient, Talente an der richtigen Stelle zu bündeln. Doch sie wird zum Nachteil, wenn sie dazu dient, die Menschen durch maximale Verantwortungsreduzierung von ihrem Unternehmen zu entfremden. Wenn eine Sachbearbeiterin den ganzen Tag nur Reisekostenabrechnungen in eine Maske eingibt – jahrein, jahraus –, dann ist ihre Arbeit ungefähr mit so viel Sinn erfüllt wie die eines Galeerensklaven. Der gravierende Unterschied ist, dass sie gehen kann.
Und früher oder später wird sie das wohl auch tun.