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26. Mai 2017

Der Wilde Westen der Digitalisierung – Tim Cole

Der Wilde Westen ist nicht so toll wie man denkt.

Wenn wir uns die junge Geschichte des Internets vor Augen führen wollen, ist es vielleicht gut, sich zuerst einmal die Geschichte des amerikanischen „Wilden Westens“ ins Gedächtnis zu rufen. Damals wie heute wurde eine neue Welt erschlossen, und am Anfang herrschten nackte Gewalt und das „Gesetz des Colts“. Erst nach und nach wurde das Land besiedelt, kultiviert und am Ende zivilisiert (auch wenn man angesichts des Wahlsiegs von Donald Trump vielleicht bezweifeln könnte, ob dieser Prozess wirklich abgeschlossen ist…).

Der Wilde Westen, wie wir es kennen, begann 1804 mit der Expedition von Lewis und Clark an die Westküste, wo erstmals der Westen kartografiert wurde, und er war bereits 1869 wieder vorbei, als der symbolische letzte Gleisnagel der ersten transkontinentalen Eisenbahn eingeschlagen. Der war auch so etwas wie der Sargnagel einer Epoche. Drei Jahre später fand man es bereits für nötig, die letzten unberührten Reste des Westens unter Schutz zu stellen, indem man den Yellowstone Nationalpark schuf.

So, das war also der Wilde Westen! Gerade mal 65 Jahre hat er gedauert. In dieser kurzen Zeitspanne, kaum ein Wimpernschlag in der Menschheitsgeschichte, steckt alles, was wir aus Karl May und zahllosen Westernfilmen kennen: bärtige Trapper und zähe Siedler, Zug- und Kutschenüberfälle, Indianerkriegee und das Gemetzel der einst riesigen Büffelherden, die Expressreiter und die erste Telegrafenleitung.

1962 feierten die größten Regisseure ihrer Zeit, John Ford, Henry Hathaway, George Marshall und Richard Thorpe, in dem Monumentalfilm „The Wild Wild West“ (auf Deutsch als Das war der Wilde Westen erschienen), nochmal das Andenken an eine besondere Ära, die durch die Brille von Verkitschung und Verklärung längst zu einem Mythos geworden war (und beendeten damit gleichzeitig eine andere, nämlich die des epischen Hollywood-Historienfilms).

Werden wir eines Tages genauso auf die ersten Jahrzehnte des Internet zurückblicken? Und was wird daraus noch werden?

Denn wir wissen ja, was nach dem Wilden Westen kam: als Erste die Farmer, die das Land rodeten und einzäunten (1867 erhielt Lucien B. Smith aus Ohio das Patent für Stacheldraht, was wahrscheinlich für die Erschließung des Westens wichtiger war als der Colt). Es kamen die Händler und Saloonbesitzer, die Telegrafenstationen und Gefängnisse, die Sherifs und die Richter, die Schulen und Kirchen, die Vermesser und die Grundbuchämter, die Eisenbahnen und Highways. Irgendwann war das Land „zivilisiert“ in dem Sinne, dass Recht und Ordnung herrschte, Wachstum und Wohlstand, Fortschritt und Vielfalt.

Das alles steht uns im Internet-Zeitalter erst noch bevor. Wir befinden uns heute ungefähr dort, wo die ersten Siedler standen, als sie aufbrachen ins Gelobte Land jenseits des großen Flusses. Uns steht die ganze mühsame Arbeit bevor, aus der Wildnis einen blühenden Garten zu machen. Aber dazu müssen wir zuerst einmal aufräumen, Ordnung schaffen, Gesetze erlassen und sie durchsetzen, Auswüchse beschneiden, die Bösewichte hinter Gittern bringen, die Räuberbarone in die Schranken weisen, das Land urbar und das Leben lebenswert machen.

Das große Fressen muss endlich aufhören!

Das wird ein hartes Stück Arbeit werden, und die Chancen scheinen schlecht zu stehen. Zu mächtig sind die Gegenspieler, die Googles, Apples, Facebooks und Amazons (gemeinsam die „Big 4“ genannt). Zu lax sind die Bestimmungen zum Schutz von Bürgern und Verbrauchern – oder sie fehlen ganz. Allen Beteuerungen zum Trotz ist das Internet immer noch ein weitgehend rechtsfreier Raum, und Günter Oettinger, der „Digitalökommissar“ der EU, fordert mit Recht ein „digitales BGB“, einen European Civil Code, der Ordnung schafft und zum Beispiel klärt, wem Daten überhaupt gehören.

Oettinger macht sich Sorgen wegen der Wirtschaft, weil beispielsweise bis heute unklar ist, wem die Daten einer CAD-Datei gehören, die ein Hersteller seinem Kunden schickt, der damit auf seinem 3D-Drücker das Ersatzteil ausdrückt, das er braucht, um seine kaputte Produktionsmaschine wieder in Gang zu setzen. Ich finde, in einem ordentlichen digitalen BGB, die übrigens nicht nur für Europa, sondern weltweit gelten sollte, muss auch drinstehen, wem meine Daten gehören: mir – oder irgendeinem Moloch aus dem Silicon Valley?

Große Internet-Konzerne und winzige Startups: Sie alle sind es gewohnt sich am großen Trog zu bedienen, der mit unseren Informationen, unseren Daten, unseren intimsten Geheimnissen und unseren innigsten Wunschträumen gefüllt ist. Und natürlich ist das große Fressen für sie kostenlos!

Ohne Widerstand werden sie den Trog nicht räumen. Die Big 4 und all die andere haben einfach zu viel zu verlieren, und sie werden auch nicht kampflos weichen. Sie sind schließlich die neuen Räuberbarone des 21sten Jahrhunderts, und sie haben tiefe Taschen und mächtige Verbündete. Sie haben sich daran gewöhnt, uns auszubeuten und auszunutzen, unsere Daten zu stehlen und unsere Identitäten zu klauen, unsere Informationen zu vermarkten und uns anzufixen mit ihren Plattformen und Apps. Sie betrachten das inzwischen sogar als ihr gutes Recht – entschuldige, das hab‘ ich mir erlaubt.

Und das Schlimmste ist: Wir lassen es uns auch noch gefallen!

Es gibt eine Parallele zur Ära der sogenannten „Robber Barons“, der Räuberkapitalisten – das „Gilded Age“, das Blattgold-Zeitalter, wie es Mark Twain nannte. Damals um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war der Wilde Westen gezähmt, und die ersten großen Gierkapitalisten wie John D. Rockefeller, Cornelius Vanderbilt, Andrew Carnegie und J. Pierport Morgan bauten riesige Imperien und mächtige Monopole und beuteten die Menschen skrupellos aus. Die haben sich mit der Zeit aufgelehnt, haben gestreikt, Fabriken niedergebrannt, Soldaten bekämpft, die von den Räuberbaronen und ihren Freunden in den höchsten Spitzen der Politik gegen sie geschickt haben. Es gab Tote, Verletzte, Unruhen, Zerstörung, Not.

Und irgendwann setzte sich die Vernunft durch: Theodore Roosevelt ging in die Geschichte ein als der „Trust Buster“, weil er 1902 mit Hilfe des Sherman Act 45 Monopolbetreiber erfolgreich vor Gericht brachte. Es wurden Gesetze gegen Kinderarbeit und für Arbeitsschutz erlassen. Auf die Gilded Age folgte die Progressive Era – und das ist es, was wir heute brauchen – die Progressive Era of the Internet.

Das Blattgold-Zeitalter des Internets

Historiker werden vielleicht einmal vom „Blattgold-Zeitalter des Internet“ sprechen, eine hektische Zeit ohne feste Regeln und klare Aufsichtsfunktionen, die erst langsam von Regularien, vor allem aber vom Markt selbst in geordnete Bahnen gelenkt wurde, und in der Männer wie Steve Jobs, Jeff Bezos, Mark Zuckerberg und Larry Page ähnliche Imperien schufen, wie einst ihre Vorfahren ein Jahrhundert zuvor.

Uns kommt es vielleicht vor, als gäbe es das Internet schon ewig, aber in Wahrheit stehen wir noch ganz am Anfang. Heute werden die Claims abgesteckt. Es geht um die Herrschaft über wichtige Schlüsselbranchen wie Video, Musik-Streaming, Navigation oder Cloud Services: Das sind einige der Bereiche, in denen der Kampf zwischen den Big 4, aber auch zwischen ihnen und uns ausgetragen werden wird. Die Karten werden noch gemischt, und es ist noch nicht endgültig klar, wer das Spiel gewinnen wird.

Aber eines ist klar: Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird es der Wilde Westen bleiben. Wir Bürger und Verbraucher werden unser Recht nicht nur einfordern müssen: Wir müssen es einklagen – und notfalls sogar erstreiten. Der Weg in eine zivilisierte Online-Welt wird nicht ohne eine Revolution von unten abgehen. Wir können nur hoffen, dass bei dieser Revolution nur virtuelles Blut fließt.

Ich bin ein grundoptimistischer Mensch, und ich glaube, wir schaffen das. Wir bin zuversichtlich, dass wir einen friedlichen Übergang in ein digitales Zeitalter schaffen werden, in dem es gerecht und geordnet zugeht, in dem Grundrechte auf Informationsfreiheit einerseits, informationelle Selbstbestimmung andererseits geachtet werden, in der die Gewinne gerecht verteilt und Leistung mit Gegenleistung belohnt wird. Ich möchte nicht im Wilden Westen leben wie meine Vorfahren, und Sie, meine Damen und Herren, vermutlich auch nicht.

Wir können es uns ja im Kino oder im Fernsehen anschauen, wenn wir wollen.

Der Wilde Westen der Digitalisierung wartet auf Sie, schauen Sie sich hier das Profil von Tim Cole an: http://www.excellente-unternehmer.de/redner/tim-cole.html

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