Frau Fritze, Sie sind Autorin, Organisationspsychologin und Expertin für Motivation und Kreativität. Glauben Sie, in jedem von uns steckt ein kreativer Kopf, man muss Ihn nur herauskitzeln?
Alle Menschen haben die Anlage dazu, kreativ zu sein. Unterschiedlich ist allein, wie stark oder schwach die Ausprägung dieser Anlage ist und in welchen Bereichen es Ihnen leichter fällt, kreativ zu sein. Erinnern Sie sich an Ihre Kindheit. Als Kinder waren wir alle kreativer, als wir es heute sind. Denken Sie einmal daran, welche phantastischen Spiele Sie früher allein in Ihrer Vorstellungskraft spielen konnten. Oder wie gerne und eifrig Sie gemalt haben. Oder welche kreativen Einfälle Ihnen in den Sinn kamen, wenn Sie mit einfachen Dingen etwas basteln wollten. Jeder Mensch war in seinem Leben in irgendeiner Form schon kreativ. Nur leider vergessen das viele. Das Problem ist: Wir sind es oft einfach nicht mehr gewohnt, kreativ zu sein und verlernen es immer mehr. Und weil wir unsere Kreativität nicht trainieren und ausprobieren, glauben wir, dass wir nicht kreativ sind. Damit beginnt ein Teufelskreis, denn weil wir glauben, dass wir nicht kreativ sind, versuchen wir es erst gar nicht mehr, kreativ zu sein. Und verlernen es immer mehr.
Welche Voraussetzungen sollten in einem Unternehmen gegeben sein, um fruchtbaren Boden für Kreativität zu schaffen?
Kreativität braucht einen angst- und druckfreien Raum. Wer kreativ sein will, braucht einen angst- und druckfreien Raum. Es darf niemand hinter Ihnen stehen, der bei jedem Pinselstrich, den Sie wagen, sofort missbilligend den Kopf schüttelt. Und wenn Ideen entwickelt werden sollen, müssen auch ungewöhnliche oder unsinnig wirkende Vorschläge gemacht werden dürfen, ohne dass jemand alles sofort kritisiert. Die meisten Kreativitätstechniken arbeiten mit strikten Regeln, die eine angstfreie Ideenfindungs- und Entwicklungsphase ermöglichen.
Was sind denn die natürlichen Fressfeinde der Kreativität?
Kreativität wird vor allem durch Druck und Struktur gebremst. Zum einen stehen viele Unternehmen bereits unter wirtschaftlichem Druck und brauchen deshalb prognostizierbare Erfolge. Quasi die Innovation mit Gewinn-Garantie. Und zwar schnell! Daher werden die sicher scheinenden Konzepte denjenigen mit höheren Risiko vorgezogen. Man geht den Weg des geringsten Widerstands. Man greift einen Trend auf, der sich am Markt schon bewährt hat oder kopiert den Mitbewerber einfach. Durch dieses Streben nach Sicherheit bekommen wir immer mehr vom Gleichen. Die Sättigung beim Konsumenten stellt sich schneller ein, Produkte laufen sich schneller tot, Verkaufszahlen und Margen sinken, wirtschaftlicher Druck ist schnell wieder da. Ein Teufelskreis. Zum anderen sind die meisten Unternehmensstrukturen einfach nicht dafür ausgelegt, radikale Innovationen voranzutreiben: Sie sind hierarchisch aufgestellt, in verschiedene Funktionsbereiche unterteilt, haben klar definierte Zuständigkeiten, Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen. Das alles ist gut, um das operative Tagesgeschäft voranzutreiben und um ein hohes Maß an Kontinuität, Qualität und Stabilität zu erreichen. Diese Strukturen sind allerdings genau das Gegenteil von dem, was Kreativität braucht: Kreatives Denken kann sich kaum entwickeln, wenn Sie 90% des Tages mit Routineaufgaben in festen Strukturen verbringen. Kreativität wird durch lineare Strukturen verhindert. Kreativität braucht iterative Strukturen. Nicht ein Schritt folgt auf den anderen sondern ein Schritt vor, zwei zurück, zwei zur Seite, zwei nach rechts, zurück auf Los, noch mal ganz anders… Iterative Prozesse benötigen ein hohes Maß an Wendigkeit und Flexibilität und Teams müssen offen sein für neue Impulse und über den Tellerrand schauen. Und apropos Teams: Im besten Fall ist bei kreativen Prozessen auch immer noch mindestens ein Außenseiter dabei, der einen ganz anderen Blick auf das Ganze hat. Und mit Außenseiter meine ich jemanden, der nicht zum Unternehmen gehört und die Branche am besten gar nicht kennt.
Was hilft Ihnen selbst am besten, wenn auch Ihre Kreativität sich manchmal etwas zaghaft gibt? Haben Sie so etwas wie ein Geheimrezept?
Nicht zuletzt brauchen wir auch eine Portion Mut, um kreativ zu sein. Mut, um mal wieder aus unserer Komfortzone herauszukommen, Dinge zu denken und zu tun, die außergewöhnlich sind. Sich auf etwas einlassen, das man nicht so ganz unter Kontrolle hat. Daher mein Tipp: Machen Sie einmal in der Woche etwas Außergewöhnliches – im Kleinen wie im Großen. Probieren Sie Neues aus, sprechen Sie fremde Menschen an, wechseln Sie die Perspektive, gehen Sie neue Wege, stellen Sie sich neuen Herausforderungen. Sei es ein neues Restaurant, das Sie mal ausprobieren (haben Sie schon mal Nudeln mit Heuschrecken gegessen?), ein neuer Weg zur Arbeit (vielleicht auch mal wieder mit dem Fahrrad?), oder schlafen Sie doch mal auf der anderen Bettseite. Oder erkunden Sie mal eine fremde Stadt, ohne Karte oder Google-Maps.
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https://de.wikipedia.org/wiki/Kreativit%C3%A4t
http://www.br.de/telekolleg/faecher/psychologie/denken-problemloesen106.html