Erfolgreich führen, mit Hilfe der Stärkenorientierung
Ein „schwieriger“ Mitarbeiter
Erwischt! Unser Mitarbeiter Hans* steht im finsteren Lager und nimmt in der Ecke einen vollen Schluck aus einer der vielen Cognac Flaschen, die dort für unsere Gäste gelagert sind.
„Hans! Hör sofort auf!“ befehle ich in lautem Ton. Hans erschreckt, versucht die Flasche und den offensichtlichen Umstand zu verbergen. Aber es hilft nichts, er wurde entdeckt. Er erkennt seine missliche Lage und tapst schuldbewusst mit hängendem Kopf auf mich zu und murmelt eine hastige, unverständliche Entschuldigung.
Hans ist einer der fähigsten Mitarbeiter in unserem Club – auf seinem Gebiet. Er kann in rekordverdächtiger Zeit Flaschen in einer Kiste Bier öffnen, Gläser spülen und aufräumen, dass jede Putzkolonne blass vor Neid werden würde. Aber Hans hat auch seine Schwächen. Er verfügt über wenig entwickelte mentale Fähigkeiten, die ihn in Versuchung bringen, Verbote zu umgehen, im Glauben wir würden es nicht herausfinden. Seine Stärke liegt jedoch darin, dass er enorm geschickt und engagiert in bestimmten Belangen ist; er kennt Abläufe, beherrscht viele Aufgaben und ist somit ein wichtiger Teil in unserem gastronomischen Betrieb geworden.
Führung will gelernt sein
Diese Geschichte ist viele Jahre her und damals war ich in sehr jungen Jahren bereits „Chefin“ einer Disco. Ich hatte keine Ahnung von Führung und mein damaliger Partner auch nicht. Eines jedoch haben wir zwangsläufig erkannt: Es gibt Mitarbeiter, die sind fähig auf einem Gebiet, müssen aber ganz individuell (in diesem Fall „eng“) geführt werden. So wie Hans. Zugegeben, er ist ein sehr extremes Beispiel für stärkenorientierte Führung. Das Prinzip ist aber hier plakativ deutlich und wurde von uns – damals unbewusst – auch erfolgreich angewendet. Der Mitarbeiter wurde dort eingesetzt, wo er seine Stärken hatte, er war dadurch äußerst engagiert, identifizierte sich mit dem Betrieb und wusste, dass er ein wichtiger Teil in dem Unternehmen war. Er wurde gut bezahlt, der er war auch eine große Hilfe für uns, er brachte seine Leistung pünktlich und meistens ohne Probleme.
Ich empfand es damals als sehr schwierig, einen Mitarbeiter so eng zu führen, was in seinem Fall auch bedeutete, dass man ihn manchmal mit strengen Worten zur Pflicht rief. Außerdem sahen wir es als unsere Verantwortung an, uns mit geeigneten Maßnahmen um eine mögliche Suchterkrankung zu kümmern. Das ist natürlich nun kein Appell, dass Sie Ihre Mitarbeiter ausschließlich autoritär führen sollen. Es geht im Gegenteil um die individuelle Führung der einzelnen Personen. Dazu muss man sich aber auch Zeit nehmen und herausfinden, wo denn die Stärken und Talente der einzelnen Menschen liegen.
Stärken und Talente erkennen
Eine gute und valide Methode um Talente zu identifizieren liefert seit vielen Jahren der sogenannte „Gallup Strength Finder“. Mit einem online-Test ermittelt man seine Top-5 der insgesamt 34 Stärken- oder Talentthemen. Damit ist es jedoch nicht getan. Jetzt geht die Führungsarbeit erst so richtig los. Sinnvoll ist es, zunächst auch die eigenen Talente zu kennen, um dann mit den Mitarbeitern gezielt weiter zu arbeiten.
Es gibt hierzu Workshops, die zusammen mit der Führungskraft und dem Team als äußerst erkenntnisreich und darüber hinaus auch als verbindend angesehen werden. Nicht nur im Sinne der Führungsarbeit, sondern auch als Teamevent, das dafür sorgt, dass man gegenseitig ein viel besseres Verständnis bekommt.
Übertriebenes Talent?
Ich durfte schon eine Vielzahl dieser Workshops durchführen und habe immer wieder erlebt, wie so manch eine Stärke auf den Kollegen wie eine „übertriebene Leidenschaft“ oder gar als „Macke“ wirken kann. Ist diese „Leidenschaft“ aber erst einmal als potenzielle Stärke erkannt und geschätzt, ist sowohl der eigene Umgang damit entspannter und selbstbewusster, als auch das Verständnis der Kollegen und der Führungskraft vorhanden. Dieses Verständnis räumt mögliche Konfliktfelder aus: Eine Teilnehmerin rief in einem Stärkenworkshop zum Beispiel aus: „Jetzt ist mir klar, warum Wolfgang* immer genaue Ergebnisse einfordert, der will mich damit ja gar nicht nerven, das ist für IHN wichtig!“ Wolfgang hat vielleicht das Talent „Analyse“ oder „Fokus“ und Menschen mit diesen Talenten gehen gern mit genauen Zahlen, Daten und Fakten um, oder sind besonders zielorientiert. Wird dieses Talent erkannt und Wolfgang an der richtigen Stelle eingesetzt, dann ist das die optimale Stärkenorientierung. Wolfgang fühlt sich wohl, ist engagiert, wie im Falle von Hans und wird auch in seiner Aufgabe erfolgreich sein. Werden die Talente dann auch noch im Team offen kommuniziert, dann gibt es ein viel größeres Verständnis, eine bessere Zusammenarbeit und in der Folge kann auch eine sinnvollere Arbeitsverteilung zustande kommen.
Es kostet Zeit aber das Engagement der Mitarbeiter steigt
Natürlich kann man einen Menschen nicht allein auf seine 5 Stärken/Talentthemen reduzieren – dafür sind wir viel zu komplexe Wesen. Diese Einordnung und Arbeit mit den Talenten dient aber nachweislich einem besseren Engagement und somit dem Erfolg im Team und im Unternehmen. Die Chancen für berufliches Engagement der Mitarbeiter sind einer Umfrage zufolge bei Konzentration der Führungskraft auf Stärken bei 73 %, gibt es keine Konzentration auf Stärken, liegt das Engagement lediglich bei 9 % (1).
Das Bewusstsein für die eigenen Stärken und das daraus resultierende höhere Selbstwertgefühl führt darüber hinaus zu enormen positiven Auswirkungen, auch in langfristiger Hinsicht, wie verschiedene weitere Studien zeigen (2). Es lohnt sich also, sich mit den Stärken und Talenten im Team zu beschäftigen.
*alle Namen geändert
(1) Gallup Umfrage mit 1009 erwachsenen Berufstätigen, 2002
(2) Judge, T.A. und Hurst, C. 2008, Journal of Applied Psychology, 93, S. 849 – 863
Mehr Informationen zu unserer Top 100 Trainerin Silvia B. Pitz, finden Sie HIER
Der Podcast zum Blog: https://soundcloud.com/user-3291865/erfolgreich-fuhren-mit-hilfe-der-starkenorientierung