Rafati zum Thema »Höhen und Tiefen des Spitzensports« und »Burnout-Prävention«
Rafati kennt die Tiefen sehr gut – vor vier Jahren wollte sich der ehemalige Bundesliga- und FIFA-Schiedsrichter in der Badewanne eines Kölner Hotels mit aufgeschnittenen Pulsadern das Leben nehmen, weil er dem Leistungsdruck nicht mehr gewachsen war. Inzwischen versucht er, in seinen Vorträgen, Menschen davor zu bewahren, dass es ihnen so geht wie ihm – dass sie vor Leistungsdruck kapitulieren, depressiv werden, Burnouts erleiden.
Sie reden regelmäßig vor vielen Menschen. Was können diese Menschen von ihnen lernen?
Babak Rafati: Ich möchte meine Zuhörer für die Themen Depression und Burnout sensibilisieren – das kann nämlich nicht nur einen Top-Referee ereilen, das ist ein gesellschaftliches Phänomen. Wir müssen vorbeugende Strategien entwickeln, damit wir nicht in diese gefährlichen Spirale geraten, die mir fast zum Verhängnis geworden wäre. Fehler die ich gemacht habe, machen auch andere.
Was lief damals in erster Linie falsch?
Rafati: Ich war vor der Nacht in Köln lange einem ernormen Leistungsdruck ausgesetzt – wie zum Beispiel auch Führungskräfte in der Wirtschaft. Natürlich habe ich Fehler auch auf dem Platz gemacht. Ich bin von meinen zwei Schiedsrichter-Vorgesetzten systematisch gemobbt worden. 18 Monate dauerte das. Heute rate ich jedem: In solch einer Lage schnellstens zum Therapeuten gehen, um die Burnout-Spirale zu vermeiden.
Wie haben sie es geschafft, so schnell aus ihrer Depression herauszukommen?
Rafati: Meine Depression war eine exogene – also von außen – auch durch Mobbing herbeigeführt. Die Faustformel lautet: Der Weg hinaus dauert in etwa so lange wie der Weg hinein. Ich war 18 Monate drin, in denen ich von den Verursachern gedemütigt und sehr respektlos behandelt worden bin. Nach 18 Monaten Therapie hatte ich es geschafft. Die Therapie war für mich wie ein Sechser im Lotto.
Welchen Denkfehler machen sogenannte starke Männer oft?
Rafati: Sie reden nicht über ihre Schwächen. Das ist aber falsch. Wir müssen offen umgehen mit unseren Schwächen, über Depressionen sprechen, solange wir noch nicht in der Spirale sind. Viele Menschen haben sich bei mir schon dafür bedankt, dass ich ihnen als klassisches Negativ-Beispiel einen besseren Weg weisen konnte.
Wer ist letztendlich dafür verantwortlich, wenn wir in Depressionen verfallen?
Rafati: Obwohl ich von meinen Schiedsrichter-Führungskräften heftig und deftig – und vor Schiri-Kollegen – gemobbt wurde und dagegen gekämpft habe, muss ich heute klar sagen: Für die Nacht meines Selbstmordversuchs trage ich ganz allein die Verantwortung. Eigentlich kann uns keiner verletzen – nur wir selbst lassen es zu. Wer in dieser Lage ist, muss sich schnellsten Hilfe holen, um nicht diesen abgründigen Weg zu gehen.
Hilfe holen: Ist das ein Schlüssel?
Rafati: »Ich brauche Hilfe« ist ein absolut starker Satz. Er kann am Anfang der Heilung stehen. Er hat mich in die Therapie geführt, in der ich geheilt wurde. Vor allem sogenannte starke Männer in Führungspositionen müssen einsehen, dass sie ihre Schwächen eingestehen dürfen, dass sie Fehler machen dürfen – Männer dürfen auch weinen. Das befreit und macht menschlich.
Sie sind vier Jahre nach dem Kölner Vorfall ein gefragter Redner. Ist das ihre eigentliche Berufung?
Rafati: Das könnte man so sagen. Nach der Therapie habe ich beschlossen, nicht mehr zurück zu gehen sondern einen neuen Weg. Ich pfeife keine Spiele mehr und arbeite auch nicht mehr bei einer Bank. Heute bin ich Redner und bei 20 Redner-Agenturen europaweit zum Thema Leistungsdruck und Burnout gelistet. Ich möchte erreichen, dass keinem Menschen das passiert, was mir passiert ist und zeige die verblüffenden Parallelen aus dem Spitzensport zum Berufsalltag auf. Für mich spricht, das ich ein Alleinstellungsmerkmal habe: Ich bin ein Mensch der Öffentlichkeit, der schwere Fehler gemacht hat und der öffentlich die Hosen herunterlässt, der dazu steht – damit andere diese Fehler nicht auch machen. Gesunde Reaktion auf ungesunde Umstände steht im Focus.
Was läuft beim DFB falsch?
Rafati: (lacht) Vieles. Vieles gefällt mir nicht – zum Beispiel wie mit Homosexualität und Depression umgegangen wird. Sportlich sind wir zwar Weltmeister, aber wir brauchen eine andere Fehlerkultur. Wer etwas offenlegt, darf nicht verurteilt werden dafür.
Haben sie schon über Versöhnung mit dem DFB nachgedacht?
Rafati: Natürlich. Versöhnung ist unbedingt wichtig, vor allem auch mit sich selbst. Auch die beiden Personen (Anmerkung: Rafati spricht von den Schiri-Bossen Fandel und Krug), die ich einmal gehasst habe, sehe ich heute anders. Wenn sie mich anrufen und um Hilfe bitten würden, würde ich zu Fuß nach Frankfurt laufen.
Was raten sie jungen Menschen, die Profi-Schiedsrichter werden wollen?
Rafati: Das ist hochinteressant, auch ich würde das gerne einmal wieder – außerhalb von Europa – machen. Die jungen Leute müssen sich allerdings auch der Gefahren bewusst sein, denen ihre Seele in diesem harten Klima ausgesetzt ist. In dieser Hinsicht können sie einiges von mir lernen.
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Quelle: [Baden Online – November 2015, Rainer Henzel]